Schulschließungen »im Schweinsgalopp« befürchtet

Jede zweite Einrichtung der Sekundarstufe bedroht - Eltern widersetzen sich

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Ein zerstörerischer Kurs, im Schweinsgalopp zurückgelegt - so beurteilt eine Elterninitiative die Schulplanung in Sachsen-Anhalt. Wird sie umgesetzt, hätte das Land 2009 noch halb so viele Schulen wie 1991.

Es wird immer öder hier«, sagt Christian Oberreich. Der Zehntklässler wohnt in Eckartsberga, einem Ort im Süden Sachsen-Anhalts. Viel ist für Jugendliche dort nicht los. Einst gab es ein Pionierlager, eine Jugendherberge und das »Eckartshaus«. Heute gibt es die Schule, und auch sie ist nicht mehr lange offen. Ab 2004 sollen die Kinder nach Bad Kösen fahren. Die heimische Schule wird auf Beschluss des Landkreises geschlossen. »Eine Tragödie vor der Haustür«, sagt eine Einwohnerin. Ähnliche Klagen sind derzeit überall im Land zu hören. Bis Ende Dezember, so will es das Kultusministerium, sollen die Kreise ihre Schulentwicklungspläne fertig gestellt haben. Anhand von Prognosen über künftige Schülerzahlen sowie von Vorgaben zu Klassenstärken, die das Ministerium festgelegt hat, soll entschieden werden, welche Schulen »dauerhaft bestandsfähig« sind. Die Anzahl wird ernüchternd niedrig sein. Vor allem Sekundarschulen werden reihenweise aufgegeben: vier von acht im Landkreis Anhalt-Zerbst, fünf von zwölf in der Region Halberstadt, wo es einst 19 vergleichbare Schulen gab. Es sind keine Einzelfälle. Die Lehrergewerkschaft GEW führt Buch über die Entwicklung der Schullandschaft. Die Aufstellungen nennt sie »Todeslisten«. Gymnasien, Sekundar-, Grund- und Förderschulen inbegriffen gab es vor zwölf Jahren noch 1732 Schulen. Derzeit sind es 1193. In sechs Jahren dürften ganze 930 Schulen übrig sein - ein Rückgang von 46 Prozent. Während Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz auf die vielerorts geringe Bevölkerungsdichte und eine »dramatische Schülerzahlentwicklung« verweist, spricht die Initiative »Schule vor Ort« von Kahlschlag. Das Bündnis wurde im Juli gegründet und vereint Eltern und Kommunalpolitiker, die sich den Plänen widersetzen. Sie werden dabei von der GEW sowie den Oppositionsparteien PDS und SPD unterstützt. Die ehrenamtliche Initiative setzt sich auch mit Olbertz Argumentation auseinander, wonach große Schulen für ein qualitativ gutes Angebot nötig sind. »Wir wollen nicht jede kleine Schule erhalten«, sagt Sprecherin Sibylle Hollstein. Sie plädiert aber dafür, die Schülerzahl für Sekundarschulen nicht auf 240, sondern auf 180 zu begrenzen. Auch so könne die nötige Vielfalt an Kursen und Spezialisierungen angeboten, gleichzeitig aber die Zahl der Schließungen um die Hälfte reduziert werden. Die Regierungsfraktionen zeigen indes keine Kompromissbereitschaft. »Keinen Schritt« hätten sich CDU und FDP bewegt, sagt PDS-Bildungsexpertin Rosi Hein, nachdem Kompromissangebote ihrer und der SPD-Fraktion abgebügelt worden waren. Gegner der Schulplanung beklagen aber nicht nur solche Sturheit, sondern auch den, wie Hollstein formuliert, »Schweinsgalopp«, mit dem Entscheidungen gefällt werden. Das Tempo überfordert auch Kommunalpolitiker. Sechs Landkreise bitten in einer Resolution um ein Aussetzen der Planungen. Die Eltern vermuten, dass bei den Regierungsvorgaben neben der Schulqualität auch »handfeste finanzielle Gründe« eine Rolle spielen: »Man will die Schüler zu den wenigen Lehrern hinbringen«, sagt Hollstein. Dafür müssen diese schon jetzt enorme Entfernungen zurücklegen. Manche Schüler des Gymnasiums Osterburg sitzen 75 Minuten im Bus, um an ihre Schule zu kommen - und zwar jeweils früh und nachmittags. Das Land erachtet maximal 60 Minuten als zulässig. Dazu wären mehr Busse nötig. Die Kosten trügen die Landkreise. Hollstein rechnet damit, dass in Sachsen-Anhalt künftig zunehmend der Wohnort über die Bildungschancen von Kindern entscheidet. Sie sieht die Schulplanung zudem in einem Teufelskreis. Schulen würden geschlossen, weil zu wenig Kinder in der Region leben. Als Folge ziehen noch mehr Familien in die Nähe der verbleibenden Schulen; ganze Landstriche veröden ...

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