»Das ist plattgewalzte Gerechtigkeit«

In der Debatte um die Reform der Sozialsysteme blieb Norbert Blüm ein einsamer Rufer

  • Wolfgang Hübner, Leipzig
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Zustimmung für das von Bundestags-Fraktionsvize Friedrich Merz vorgelegte CDU-Konzept eines stark vereinfachten Steuersystems: Während der Parteitag am Dienstag Merz feierte, bekam Edmund Stoiber für seine zahme Gastrede mäßigen Beifall. Streitpunkten innerhalb der Union wich der CSU-Chef aus.

Edmund Stoiber kam zu spät. Als er endlich in der Leipziger Tagungshalle eintraf, hatte Friedrich Merz die Sympathien des Tages längst einkassiert. Sein Steuerkonzept soll die derzeit über 100000 Steuervorschriften drastisch auslichten. Das gegenwärtige chaotische System provoziere geradezu Rechtsverweigerung, meinte Merz. Rechtsgehorsam aber könne der Staat von den Bürgern nur verlangen, »wenn die Gesetze für durchschnittlich begabte Bürger ohne kostspielige Rechtsberatung in den Grundzügen verständlich sind«. Merz will drei Steuersätze einführen: zwölf Prozent bei einem Jahreseinkommen bis 16000 Euro, 24Prozent bis 40000 Euro, 36 Prozent für noch höhere Einkommen. Das wären deutlich niedrigere Sätze als bisher, am stärksten begünstigt werden faktisch die Vielverdiener. Jeder Bürger, auch jedes Kind soll zudem einen Freibetrag von 8000 Euro pro Jahr erhalten, jeder Berufstätige weitere 1000 Euro, womit »große Teile der Arbeitnehmer mit Kindern komplett steuerfrei gestellt würden«, so Merz. Neben diesen Freibeträgen will er nur noch wenige Ausnahmen von der Besteuerung zulassen - Leistungen für die Altersvorsorge und wirklich gemeinnützige Spenden. Kritiker vor allem außerhalb der CDU, die einen vierten Steuersatz von 48 Prozent für sehr hohe Einkommen fordern, beschied Merz mit der Bemerkung, Spielraum für höhere Steuern sehe er nicht, denn schon bei seinem Modell liege Deutschland »im internationalen Vergleich fast zu hoch«. Immerhin, meinte Merz, finde seine Grundidee Zustimmung von den Arbeitgebern bis hin zur PDS - die allerdings einen vierten, hohen Steuersatz fordert -, und in diesem breiten Spektrum werde sich gewiss noch Platz für die CSU finden. Damit spielte er dezent auf die Widerborstigkeiten an, die die Unionsparteien zuletzt ausgetauscht hatten. CSU-Stoiber spielte diese zu »pointierten Wortwechseln« herunter. Merkel hatte in ihrer Rede am Montag ebenfalls auf Seitenhiebe Richtung München verzichtet. Auf den Streit um die von der CDU geplanten einheitlichen Kopfpauschalen für die Krankenversicherung ging Stoiber überhaupt nicht ein, sondern bezeichnete lediglich die von Rot-Grün favorisierte Bürgerversicherung als Irrweg. Ansonsten lobte er neun von elf Redemanuskript-Seiten lang die Union, um dann ein paar dürre Worte über unterschiedliche Ansichten darüber zu verlieren, wie ein Kinderbonus in der Rentenversicherung bezahlt werden soll. Vermutlich wird man sich bald einigen. Pflichtkritik an Rot-Grün, etwa gegen eine höhere Erbschaftssteuer, Polemik gegen Besitzstandswahrung, Unmut über die von Finanzminister Eichel angekündigte höhere Neuverschuldung und eine Standpauke über den unmoralischen Charakter des Schuldenmachens - das wars. Natürlich vergaß Stoiber zu erwähnen, dass Rot-Grün 1998 vom Finanzminister und CSU-Politiker Waigel einen riesigen Schuldenberg geerbt hatte. Da hatte Merz zuvor ganz anders zugelangt. Ein unwürdiges Personal sei in Berlin am Werk, selbstverliebte Staatsschauspieler - jeder Tag, den die Schröder-Regierung früher verschwinde als nach der Wahl 2006, sei ein guter Tag für Deutschland, rief Merz unter dem Jubel des Parteitags aus. Der einzige, der die Leipziger Mit-uns-wird-alles-gut-Party störte, war Norbert Blüm. Helmut Kohls langjähriger Arbeitsminister nannte die Krankenkassen-Kopfpauschale primitiv, weil mit wachsendem Einkommen der prozentuale Anteil für die Krankenversicherung immer geringer wird. »Das ist plattgewalzte Gerechtigkeit, das ist nivellierte Solidarität«, schimpfte Blüm am Montagabend und wies auf einen Trick der Parteiführung hin. Diese will den Arbeitgeberanteil der Krankenkassenbeiträge besteuern, »aber niemand sagt dazu, dass diese Steuern von den Arbeitnehmern bezahlt werden, weil sie Teil des Lohns werden sollen«. Allein diese Steuern in Höhe von etwa 18 Milliarden Euro seien fast das Doppelte jenes Betrages, um den Friedrich Merz die Bürger mit seinem Steuermodell entlasten wolle, rechnete Blüm vor. »Das machen Sie mal den Leuten klar.« Außerdem verspreche die CDU verschiedene soziale Ausgleichszahlungen bei Pflege und Rente - »alles in allem 50 bis 60 Milliarden Euro. Woher sollen die denn kommen, wenn gleichzeitig auch noch Schulden abgebaut und die Steuerreform finanziert werden soll?« Werde dann noch der Niedriglohnsektor ausgeweitet, entstünde auch da größerer Bedarf nach Zuschüssen, sagte Blüm. »Die Kopfpauschale ist nicht gerecht, nicht solidarisch, nur schwer durchschaubar« und einzig aus der Überlegung entstanden, »wie man an das Geld der Leute kommen kann«. Doch Blüm blieb ein einsamer Rufer. Die Führung hörte ihm teils kopfschüttelnd zu. Am Ende stimmten die 1000 Delegierte bei nur vier Gegenstimmen für Merkels Leitantrag. Die hat in ihrer Partei inzwischen eine treue, teils übereifrige Gefolgschaft. Der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus wünschte sich Merkel am Rande des Parteitags als nächste Kanzlerkandidatin. Und ein Delegierter rief gar emphatisch: »Angela Merke...

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