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Besonders harter Winter für Wohnungslose

Kommunen versuchen immer stärker, bei den Kosten für die Obdachlosen zu sparen

  • Uwe Witt
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Jahren sinkt die Zahl der Menschen ohne eigene Wohnung in der Bundesrepublik. Das ist vor allem ein Erfolg der Anstrengungen von Kommunen und Trägern der Wohnungslosenhilfe. Nun steht jedoch nicht nur eine dramatische Trendwende, sondern auch der Winter vor der Tür.
In der Bundesrepublik hat sich seit 1995 die Gesamtzahl der Wohnungslosen stetig verringert. Im Jahr 2002 sank ihre Zahl mit 410000 Personen gegenüber dem Jahr 2000 um 20Prozent, gegenüber 1995 sogar um 55Prozent. Rund 13 Prozent der alleinlebenden Wohnungslosen - also etwa 20000 Menschen - lebten im vergangenen Jahr ohne jede Unterkunft auf der Straße. Nunmehr steigen die Zahlen wieder an. Die Evangelische Obdachlosenhilfe wies gestern darauf hin, dass allein die Zahl der Obdachlosen in diesem Jahr wahrscheinlich um 10 bis 20Prozent anwachsen wird.
Wohnungslos ist, wer nicht über einen mietrechtlich abgesicherten Wohnraum verfügt. Die Mehrzahl der Wohnungslosen hat eine Unterkunft in zugewiesenem Wohnraum mit Nutzungsverträgen, in Notunterkünften oder ein vorübergehendes Obdach bei Verwandten oder Bekannten.

Altersdurchschnitt stark gesunken
Die Evangelische Obdachlosenhilfe verweist darauf, dass der Altersdurchschnitt der Hilfesuchenden in den letzten Jahren stark gesunken ist: Er liegt nun schon bei 38 Jahren. Ein Viertel der Obdachlosen ist jünger als 28 Jahre. Der Vorsitzende der Organisation, Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, führt dies unter anderem auf die immer restriktivere Jugendhilfegewährung zurück. Steigende Obdachlosenzahlen resultierten auch aus gesunkenen Fallpauschalen in der Psychiatrie. »Immer mehr Menschen, die den Alltag nicht bewältigen können, werden vorzeitig und ohne Vorbereitung aus den Behandlungseinrichtungen entlassen.« Gern hält es zudem für beunruhigend, dass der Anteil der obdachlosen Frauen stetig ansteigt. Waren vor zehn Jahren fast gar keine Frauen auf »der Platte« zu sehen, machen sie jetzt schon je nach Region 20 bis 25Prozent aus.
Der Beginn der Kälteperiode ist für die Obdachlosenhilfe eine besondere Herausforderung: Der Hilfebedarf ist enorm, jedoch sind die finanziellen Mittel knapper denn je. Besonders in den Ballungszentren nimmt die Zahl der Räumungsklagen zu, ebenso wie die der Beratungen der Wohnungslosenhilfe. Zudem versuchen zahlreiche Kostenträger auf Grund ihrer Finanznot, Rechtsansprüche von Wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen zu unterlaufen. Wolfgang Gern berichtete in diesem Zusammenhang über die bundesweite Praxis mancher Kostenträger, Tagessätze der Sozialhilfe höchstens an drei aufeinander folgenden Tagen auszuzahlen oder Notübernachtungen nur für maximal drei Tage zu gewähren. »Außerdem ist es gang und gäbe, Mietkautionen rechtswidrig mit der Sozialhilfe zu verrechnen.« Damit werde eine erfolgreiche Wohnungssuche vereitelt, so Gern.

Verschlechterungen in der Sozialgesetzgebung
Laut Diakonie-Chef Jürgen Gohde drohen Verschlechterungen in der Sozialgesetzgebung. »Wenn künftig die einzelnen Kommunen für die Wohnungslosenhilfe aufkommen müssen, entwickelt sich eine zynische Logik. Dann lohnt es sich gerade für kleinere Kommunen, Menschen die notwendige Hilfe vorzuenthalten und sie in die großen Städte zu vertreiben.« Die Diakonie fordert deshalb eine einheitliche Kostenträgerschaft beim überörtlichen Sozialhilfeträger. Außerdem werden nach den Regierungsentwürfen für das Sozialgesetzbuch II Menschen, die in stationären Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leben, von der allgemeinen Arbeitsmarktförderung ausgeschlossen. »Dies ist wohl selbst von den Abgeordneten nicht so gewollt, hier ist eine Klarstellung erforderlich«, verlangt Gohde.
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