Arm und dumm?

Leere Kassen und Ideenarmut: staatliche Bildungsfinanzierung in Deutschland

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Die Dänen waren schon immer ein ungewöhnliches Volk mit ungewöhnlichen Regierenden. Als der Staat im Jahr 1813 nach dem Krieg mit England Bankrott ging, wurden die Ausgaben für Bildung erhöht. Auf den Protest des Finanzministers antwortete der damalige König Christian VIII.: »Arm und elend sind wir. Wenn wir jetzt auch noch dumm werden, können wir aufhören, ein Staat zu sein.«

Ein deutscher Finanzminister hätte sich wohl schon damals von solch klugen Worten nicht beeindrucken lassen. Das hat sich in den letzten 190 Jahren kaum geändert. Rechtlich werden die Ausgaben für Bildung als so genannte konsumptive Ausgaben betrachtet, nicht als Investitionen. In den Staatshaushalten aber haben Investitionen immer Vorrang vor den konsumptiven Ausgaben. Deshalb auch ist der Bildungshaushalt mit der erste Finanzposten, an den Finanzminister und -senatoren das Hackebeil ansetzen. Besonders drastisch sind die Kürzungsfolgen derzeit in Berlin. Das ist kein Zufall. Das arme Berlin ist innerhalb Deutschlands ein Bildungsexporteur, d.h. es bildet überproportional viele Studenten aus. Von diesem Export profitieren Länder wie das reiche Bayern. Verschiedene Anläufe für einen Länderfinanzausgleich sind bislang aber am Widerstand der vergleichsweise wohlhabenden Bundesländer gescheitert. Das hat Folgen: Der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Bildung in Deutschland sank in den zurückliegenden drei Jahrzehnten beinahe kontinuierlich. Betrug er 1975 noch über fünf Prozent, so ging er bis mittlerweile auf etwa vier Prozent zurück. Zum Vergleich: Im OECD-Durchschnitt liegt der Staatsanteil bei fünf Prozent, im bildungsfreundlichen Dänemark beträgt er gar fast sieben Prozent. Schlimmer noch als die sinkende Bereitschaft der Länder und des Bundes, Schulen und Hochschulen ausreichend zu finanzieren, ist die ungleiche Lastenverteilung zwischen den privaten und den öffentlichen Haushalten. Bei der Universitätsausbildung beträgt der Anteil der öffentlichen Ausgaben rund 87 Prozent, für die vorschulische Bildung dagegen wird der Bürger kräftig zur Kasse gebeten. 8,3 Milliarden Mark mussten die Privathaushalte 1999 aus eigener Tasche für die Bildung der unter Sechsjährigen ausgeben, das entspricht einem Anteil von fast 38 Prozent des Gesamtbudget.
Diese Missstände sind seit Jahren bekannt, doch geändert hat sich bislang wenig. Und weil die Kassen leer sind, verfallen immer mehr Politiker, aber auch Hochschulrektoren wie der derzeitige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter Gaethgens, von der Berliner Freien Universität auf die Idee, Studiengebühren einzuführen. Dabei gibt es durchaus Alternativkonzepte, wie zum Beispiel das Modell »Bildungssparen« (siehe nebenstehende Spalte). Dass solche Modelle in der derzeitigen Diskussion kaum eine Rolle spielen, führt der frühere Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Dieter Wunder, darauf zurück, dass ein solches Konzept ein Umdenken in der Gesellschaft und eine radikale Änderung in der Bildungsfinanzierung bedeuten würde. »Da aber in Deutschland beinahe immer Wahlkampf ist, scheuen sich viele Politiker vor solch gravierenden Änderungen«.
Das kommt nicht von ungefähr, denn betroffen durch das Bildungssparen muss sich die obere Mittelschicht fühlen, aus denen sich derzeit das Gros der Studenten rekrutiert - 66 Prozent der Beamtenkinder nehmen derzeit ein Studium auf, annähernd hoch ist die Studierquote unter den Kindern höhere Angestellter, während nur 12 Prozent der Kinder aus Arbeiterfamilien ein Studium beginnen.

Gebührenmodelle

Allgemeine Studiengebühr

Modell:
Wer lernen will, muss zahlen. Schon vom ersten Tag an und mit möglichst wenig Ausnahmen.
Verfechter: Derzeit besonders beliebt bei Unionspolitikern - die das Verbot allgemeiner Studiengebühren aus dem Hochschulrahmengesetz (HRG) streichen wollen. Verschiedene CDU-geführte Länder haben eine entsprechende Verfassungsklage angestrengt. Aber auch SPD-Politiker wie die NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit können sich für die Idee erwärmen. In Hamburg sind bereits allgemeine Studiengebühren von 500 Euro beschlossen: für alle, die ihren Wohnsitz außerhalb des Stadtstaates haben.
Kritik: Unsoziale Auswahl der Studierenden, Wissen wird wieder (oder bleibt) Privileg der Besitzenden.


Studienkonten und »Langzeitstudierendengebühr«

Modell:
Im Prinzip bedeutet beides das Gleiche. Wer die Regelstudienzeiten überschreitet, soll zur Kasse gebeten werden.
Verfechter: Eingeführt ist dieses System bereits in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen, in einer Reihe weiterer Länder wird darüber diskutiert. Auch mit der Studienzeit steigende »Rückmeldungs-« oder »Verwaltungsgebühren« - wie es sie etwa in Berlin gibt - gehören in diese Kategorie.
Kritik: Strafen für »Langzeitstudierende« treffen unter Umständen gerade diejenigen, die ohnehin schon benachteiligt sind und z.B. neben dem Studium arbeiten oder Kinder erziehen müssen. Außerdem tragen Studierende, die nur zu wenigen Veranstaltungen pro Semester kommen (können), nicht zur Verstopfung der Universitäten bei.


»Bildungssparen«

Modell:
1998 von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung entworfenes Konzept. Ausgehend von steigenden Studierendenzahlen und Weiterbildungsbedürfnissen sieht das Konzept die Einrichtung von steuerlich geförderten »Bildungskonten« bereits im Kindesalter vor. Durch Zuschüsse sorgt der Staat für einen sozialen Ausgleich. Anteile dieses Kontos können von den jungen Erwachsenen bei den Hochschulen eingelöst werden. Das Konzept verfolgt zwei Ziele: Sozial besser gestellte Familien sollen stärker bei der Bildungsfinanzierung hergezogen und der Anteil von Kindern aus bildungsfernen und sozial schwächeren Familien an den Universitäten erhöht werden. Gleichzeitig soll das Gutscheinsystem das zielgerichtete Studium fördern und den Studierende gegenüber den Hochschulen ein Druckmittel in die Hand geben, den Studienbetrieb dementsprechend zu gestalten.
Verfechter: Taucht immer wieder in der (gewerkschaftlichen) Debatte auf - in den Diskussionen der politischen Entscheider dagegen kaum. Zu den Befürwortern des Konzepts gehören u.a. die frühere Berliner Bildungssenatorin Sybille Volkholz (Grüne) und der ehemalige Berliner Wissenschaftsstaatssekretär Peer Pasternack
Kritik: Leere Staatskassen werden akzeptiert. Auch ist eine Ökono...

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