Gemeinsam die Politik ändern

Bündnis ruft zum Protest gegen Bildungs- und Sozialabbau auf

  • Stefan Mentschel
  • Lesedauer: 3 Min.
Bundesweit protestieren Studierende gegen Kürzungen im Bildungsbereich. Auch andere gesellschaftliche Gruppen sehen sich mit finanziellen Einschnitten konfrontiert. In Berlin nimmt die Vernetzung Betroffener allmählich Gestalt an.
Der Platz vor dem Roten Rathaus ist dieser Tage Kristallisationspunkt der studentischen Proteste in Berlin. Am Wochenende hatten sich rund 15000 Menschen versammelt, um gegen die Bildungs- und Sozialpolitik des rot-roten Senats zu demonstrieren. Seit Wochen veranstalten hier Studierende und Dozenten öffentliche Seminare. Zudem trotzen zehn Aktivisten seit Tagen Regen und Kälte, um mit einer Mahnwache gegen die von Senat und Hochschulleitungen beschlossenen Einschnitte von etwa sieben Prozent des gesamten Hochschuletats von rund 950 Millionen Euro zu protestieren.
»Wir bleiben so lange hier bis unsere Forderungen erfüllt sind«, sagt Katharina Paar entschlossen. »Aber wir schauen nicht nur auf unsere Probleme«, ergänzt ihr Kommilitone Sebastian Ruhnau. Er hoffe, dass durch den Unistreik auch andere von Kürzungen betroffenen Gruppen zum Protest motiviert werden können. Lutz Wilmering nickt zustimmend. Der gelernte Bürokaufmann aus Berlin-Steglitz ist seit drei Jahren arbeitslos und hat sich den Studierenden angeschlossen. Täglich kommt er für mehrere Stunden ans Rathaus, um die Mahnwache zu unterstützen. »Viele Leute schimpfen nur«, sagt er. »Aber dadurch ändern sie nicht.«
Was Wilmering und die Studierenden vor dem Roten Rathaus bereits im Kleinen proben, soll bald berlinweit funktionieren. Ein Anfang wurde am Sonntag gemacht. An der Humboldt-Universität (HU) versammelten sich über 150 Personen aus fast allen von Kürzungen betroffenen Bereichen der Stadt. Unter ihnen waren Gewerkschafter, Mitglieder des Landeselternausschusses und der LandesschülerInnenvertretung, Vertreter der Initiative für ein Berliner Sozialforum sowie Studierende aus Berlin und Potsdam.
Es komme darauf an, dass in den nächsten Wochen der Widerstand von noch mehr gesellschaftlichen Gruppen solidarisch getragen werde, betont Michael Hammerbacher vom Berliner Sozialforum. Der Senat müsse unter politischen Druck gesetzt werden, damit die Richtung der Politik grundsätzlich geändert werden kann. In einer gemeinsamen Erklärung rufen die Unterzeichner die Verantwortlichen auf, alle im Haushaltsentwurf 2004/ 2005 geplanten Kürzungen im Bildungs-, Kultur-, Jugend- und Sozialbereich zurückzunehmen. Darüber hinaus wird eine Stärkung der öffentlichen Haushalte durch die Heranziehung der hohen Einkommen und der Gewinne von Vermögenden und Großbetrieben gefordert.
Schon am Freitag, 15 Uhr, ruft das neu geschaffene Bündnis zu einer »Bettel-Demonstration« auf. Im wohlhabenden Berliner Stadtteil Grunewald soll auf die »unhaltbaren Zustände von großem privaten Reichtum und öffentlicher sowie persönlicher Armut« aufmerksam gemacht werden. Rund 600000 Berliner gelten als arm, heißt es. Doch die rot-grüne Bundesregierung und der Senat hätten nichts Besseres vor, als die sozial Schwachen mit einer »sozialen Stiefeltreter-Politik noch weiter zu verarmen«. Für den 13. Dezember ist eine Großdemonstration am Brandenburger Tor geplant.
Der Erfolg der Proteste ist auch von einem Fortgang des Streiks an den Universitäten abhängig. Nachdem die Freie Universität bereits am Montag eine Streikverlängerung beschlossen hat, stehen heute Entscheidungen an Humboldt Universität und Technischer Universität ins Haus. Ein Abbruch der Aktionen scheint derzeit nicht wahrscheinlich. Doch ohne die Streikbeschlüsse der Vollversammlungen könnte den Protesten die Basis verloren gehen, bevor sie richtig begonnen haben.


Proteste heute in Berlin
72 Stunden Vorlesungsmarathon der Physiker, Potsdamer Platz
Fahrrad-Demo »Fahren gegen Sparen«, 9.30 Uhr, Pariser Platz
Aktionstag der Geschichts- und Kulturwissenschaften, 12 Uhr, Pariser Platz
HU-Vollversammlung, 12 Uhr, Hauptgebäude, Innenhof
TU-Vollversammlung, 14 Uhr, Audimax

Weitere Termine: www.allefueralle.tk
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