nd-aktuell.de / 31.12.1993 / Politik / Seite 3

Mit dem „Leumund“ keine Chance mehr

Terpe war - nach eigenen Angaben - nicht mit leeren Händen zum Pastor Gauck gekommen. Er hätte zwar keinen Orden, auch keine Bibel, wohl aber ein „Geschenk“, von dem Tausende in der DDR nicht einmal zu träumen wagten: Gaucks Kinder, vor einiger Zeit in den Westen ausgereist, erhielten eine Einreiseerlaubnis. „Gauck zeigte sich bei dieser Äußerung... sehr bewegt und erklärte, daß... letzten Endes auch er versagt hat und nicht alles dafür getan hat, daß seine Kinder in der DDR blieben.“

Die „bisherigen Wertungen zur Person Gauck“ bedürfen „einer Präzisierung“, schlußfolgerte Hauptmann Terpe nach dem Gespräch. In diesem muß sich Joachim Gauck, wenn die Akten die Wahrheit sagen, so DDR-konform und MfS-mitarbeitsfreudig gegeben haben, daß Hauptmann Terpe vorschlug, einen IM-Vorlauf anzulegen.

Um es ganz deutlich zu sagen: Mit weniger als einer solchen MfS-Niederschrift sind Ärzte, Lehrer, Juristen, Angestellte und andere aus ihren Berufen entfernt worden. Sie und ihre Familien mußten leiden, zumal bestimmte Medien ihre Spießruten knallen lie-ßen. Obwohl es mir aus tiefem Herzen zuwider ist, in der Vergangenheit „Andersdenkender“ herumzuwühlen, ja es widerspricht vollständig den von mir propagierten Vorstellungen zum Umgang mit geheimdienstlichen Hinterlassenschaften, ist es doch notwendig, um die unterschiedliche 1 Handhabung der Maßstäbe zur Bewertung der Biographien .einzelner darzustellen und somit die üble Absicht zu entblößen. Mögen die Genannten mich verklagen.

Das Stasi-Unterlagengesetz bedarf dringend einer Präzisierung; unrechtmäßig zusammengetragene Informationen dürfen nicht länger die Würde von Menschen verletzen, indem sie als alleiniger Gradmesser über Wert und Unwert Betroffener entscheiden. Sie als ein Beweismittel bei Straftatbeständen vor Ordentlichen Gerichten zu nutzen, steht auf einem anderen Blatt und sollte gleichfalls in dem genannten Gesetz geregelt werden.