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Man darf Politik nicht überschätzen

Interview: BRIGITTE ZIMMERMANN, REINER OSCHMANNund BURKHARD LANGE (Foto)

  • Lesedauer: 6 Min.

ehe, daß unter dem Stichwort Aufarbeitung der Vergangenheit dazu übergegangen wurde, allen' in der DDR Lebenden ihre Biografien zu zerstören. Im Bewußtsein der Menschen im Osten ist deutlicher geworden: Am konsequentesten und vor allem am glaubwürdigsten setzt sich die PDS für sie ein, weil sie als ostdeutsche Kraft ebenso in die Zweitklassigkeit geredet und geschrieben werden soll.

Soll man von Bonner Wahlhilfe für die PDS sprechen?

Mit der PDS kannst du mehr oder weniger dusselig umgehen, das muß keinen Wahlerfolg für sie bedeuten. Bonn hätte mit den Bürgerinnen und Bürgern im Osten nicht so umgehen müssen. Aber das entspricht genau ihrer Art von Machtpolitik. Ein Fünftel der Bevölkerung interessiert kaum. Eine ziemliche Gleichgültigkeit, ein hohes Maß an Desinteresse. Das wird nicht als lohnenswerter Ersatz für die Gängelei in der DDR angesehen.

Inwieweit können Sie sich eigentlich freihalten von der Kirchenkampfmentalität, die nicht nur gegen die PDS, sondern auch innerhalb der Partei mitunter wütet?

Solange es linke Parteien gibt, wird es den Kampf um die eine wahre Lehre und die großen Wahrheiten geben. Und es wird auch immer wieder der Versuch gestartet werden, alles auf ein, zwei Fragen zu reduzieren, auf die es angeblich ankommt.

Insofern ist die Anlage in der PDS gut, weil sie pluralistisch ist. Unterschiedliche Auffassungen können ausgetragen werden. Aber natürlich müssen wir auch aufpassen, nicht beliebig zu werden. Dazu gehört für mich, daß Vorstände die mehrheitliche Richtung ausdrücken sollten. Der Vorstand muß tolerieren, daß es andere Meinungen in der Partei gibt. Aber wenn du versuchst,, den ganzen Pluralismus in ein Arbeitsgremium hineinzuwählen, ist die Gefahr der Blockierung zu groß.

Besteht diese Gefahr derzeit für die PDS?

Ja, wir wählen jetzt sehr bewußt pluralistisch. Der Parteitag hat ganz gezielt mit gro-ßer Mehrheit zum Beispiel sowohl Angela Marquardt als auch Sahra Wagenknecht in den Vorstand gewählt, um deutlich zu machen, welche Breite er anstrebt. In einem kleinen Vorstand mit 18 Mitgliedern kann das jedoch problematisch werden. Die Gefahr besteht, daß er nie ein kollektives Leitungsorgan wird, sondern sich jede Richtung überlegt, wie sie gegen die andere Punkte macht.

Weshalb bezeichnen Sie sich als demokratischen Sozialisten, nicht als Kommunisten?

Dieser Unterschied ist für mich wichtig, weil mit dem Begriff Kommunist heute leider nicht nur die kommunistische Idee und Weltanschauung verbunden sind, sondern auch ein Denken im Sinne eines ganz bestimmten Parteityps, einer ganz bestimmten Struktur, einer ganz bestimmten Geschichte. Von der Konspiration über den Zentralismus bis hin zur Avantgarde-Theorie. Und da ich ein Gegner der Avantgarde-Theorie bin, viele Kommunistinnen und Kommunisten aber meinen, ohne Bekenntnis zur höheren Einsicht in den Gang der gesellschaftlichen Dinge ist man keiner, macht das schon einen Unterschied.

Mit dem Begriff demokratischer Sozialist bringe ich nicht zum Ausdruck, daß mir etwa die kommunistische Utopie fremd wäre von einer klassenlosen Gesellschaft, in der die Freiheit des einzelnen die Voravissetzung für die Freiheit aller ist. Es ist, finde ich, noch nichts besseres formuliert worden als diese Utopie im Kommunistischen Manifest. Das ist auch meine.

Aber was die Machtund/oder die Eigentumsfrage betrifft, da bin ich zumindest von vielen klassischen Vorstellungen der Kommunisten weg. Mich stört, wenn man die Macht- und die Eigentumsfrage reduziert auf den Punkt: Wer sind die Inhaber von Macht und Eigentum?

Scheinbar war in der DDR in dieser Hinsicht alles bestens geregelt, aber herauskam ein anti-emanzipatorischer, undemokratischer, ineffektiver Sozialismus.

Es geht auch um den Inhalt von Macht und Eigentum. Machtabbau und Dezentralisierung sollten Ziele sozialistischer Politik sein. Als Sozialist gehe ich natürlich davon aus, daß die Macht von Konzernen und Banken weltweit zu brechen ist, aber nicht, um sie nach Übernahme noch zentralistischer auszuüben.

Tatsache ist, daß der Sozialismus auch an den Formen

seiner Machtsicherung zugrunde ging. Selbst wenn er mit anderen Methoden auch gescheitert wäre, wie anders wäre er untergegangen? Welch andere Erinnerung hätte er hinterlassen? Die Pariser Kommune war auch nicht siegreich, aber sie hat der sozialistischen Bewegung nicht geschadet. So, wie die Oktoberrevolution jetzt gescheitert ist, schadet sie der sozialistischen Bewegung. Es“ ist einfach ein Irrtum, daß Machterhalt an sich einen Wert darstellt. Wenn die Menschen in der DDR ausreichend emanzipiert gewesen wären, hätten sie sich die DDR nicht wegnehmen lassen.

Sehen Sie, mit Blick auf die Wahlen '94, neue Anknüpfungsmöglichkeiten zwischen den unterschiedlichen Strömungen der Partei?

Ich denke, daß in dem Artikel „über den linken Antikommunismus“ von Sahra Wagenknecht, Ellen Brombacher, Heinz Stehr und Rolf Priemer (ND vom 25.10.1993 d.Red.) ernstzunehmende Dissenspunkte aufgezeigt worden sind. Diese Punkte können sich weiter zuspitzen und müssen irgendwann von der Mehrheit der. Partei entschieden werden.

Durch organisatorische Spal tung?

Die sehe ich nicht. Wir haben schon viel schärfere Auseinandersetzungen ohne organisatorische Trennung durchgehalten. Es werden nur bestimmte Standpunkte überwunden. Damit ist in der Regel verbunden, daß es einige gibt, die gehen. Das dürfen wir nicht mehr so fürchten. Andere werden kommen.

Wie groß ist die Nostalgie-Gefahr in Her PDS wirklich?

Nostalgie ist eine allgemeine gesellschaftliche Erscheinung in den neuen Bundesländern. Sie bezieht sich nicht nur auf die PDS, wenn sie auch dort eine besondere Rolle spielt. Der allgemeine Trend hat zunächst einen sehr positiven Aspekt: Die DDR sehr viel differenzierter zu sehen und die Pauschalverurteüung in Medien wie durch die Bonner Politik nicht mehr ohne weiteres hinzunehmen.

Bonn hat einen großen Fehler gemacht, indem es versuchte, die Geschichte der DDR auf Staatssicherheit und diese wiederum auf eine ^bestimmte Verfolgung zu reduzieren. Bei dieser Strategie wurde vergessen, daß 12 Millionen erwachsene Menschen, die hier gelebt haben, es anders wissen.

Wogegen ich allerdings angehe, ist die Tendenz, das Bild der DDR zu verklären. Die enormen demokratischen, ökologischen, emanzipatorischen Defizite nicht zu sehen oder die mangelnde Effizienz in der Wirtschaft und in der Gesellschaft überhaupt. Ein Zurück zur DDR kann es nicht geben. Wir müssen in die Gegenwart und in die Zukunft eingreifen und uns überlegen, wie wir diese Bundesrepublik anders gestalten können.

Wie das eine nicht aufging die Pauschalverurteilung der DDR - wird auch die Verklärung der DDR nicht funktionieren.

Immer wieder ist die Rede von Gesprächen über eine „neue Linke“ mit Leuten der SPD oder solchen, die es mal waren. Was läuft da wirklich und mit welchen Perspektiven?

Meiner Meinung nach läuft da fast gar nichts. Das ist halt die Medienwelt.

Selbstverständlich denken wir längerfristig über Perspektiven nach. Es ist ja nicht zu übersehen, daß die Linke in der SPD nun seit Jahrzehnten eine Niederlage nach der anderen einsteckt. Und daraus müssen sich irgendwann Konsequenzen ergeben. Und umgekehrt wird sichtbar, daß die PDS auch nur ein begrenztes Spektrum erreicht.

Der Parteienfrust zwingt ja wohl auch zum Nachdenken auf dieser Ebene?

Wir müssen die Eigen Verliebtheit in unsere Struktur in Grenzen halten.

Ich bin selbst ausreichend sentimental. Aber soviel Rationalität sollte sein, daß man auch Strukturveränderungen für möglich hält. Dafür sind natürlich Gespräche nötig. Es geht um theoretische, programmatische Debatten. Die führen wir natürlich und versuchen, dabei möglichst breit zu sein. Das Ziel der offenen Liste der PDS besteht u.a. darin, die Akzeptanz der PDS ebenso wie unser eigenes Denken zu erweitern.

Aber wenn jemand meint, es finden ab und zu Geheimtreffen statt, wo man eine neue Organisation vorbereitet, ist das Blödsinn. Zumindest weiß ich davon nichts.

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