nd-aktuell.de / 31.12.1993 / Politik / Seite 12

Von DOROTHEE WENNER

zu sterben. Wir hatten nichts mehr zu verlieren und wagten es deshalb, zurück in unser Dorf zu gehen. Die Soldaten hatten alles gestohlen, alle Tiere geschlachtet. Aber die Häuser haben sie stehen lassen, das war unser Glück.“

Ob dieses Glück zum Überleben reicht, ist alles andere als sicher. Wegen der Vertreibung konnten die Reisfelder nicht zur rechten Zeit bestellt

werden, und so droht Hungersnot in D'wo Tah. Auf Hilfe aus dem Ausland kann man im Bürgerkriegsgebiet Kawthoolei nicht hoffen. Nach geltendem Recht ist jede grenzüberschreitende Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten illegal. Außerdem können schon ein paar Säcke Reis Grund genug für die Armee sein, das Dorf erneut zu überfallen. „Für uns spielt es

mittlerweile keine Rolle mehr, ob uns jemand hilft oder nicht, wir haben zu viel erlebt. Egal was kommt, wir bleiben jetzt in unserem Dorf.“ Die Entschlossenheit dieser Worte erstickt einige lange Augenblicke das Gespräch. Beschwichtigungen wären beleidigend, laute Sympathiebekundungen unangemessen.

„Operation Drachenkönig“ - hinter diesem klangvollen Namen verbirgt sich eine Erklärung für den letzten Überfall auf D'wo Tah. Der war ein kleiner Mosaikstein im Rahmen einer mehrjährigen, großangelegten Terrorkampagne der Regierung, die darauf zielt, den Rückhalt der Widerstandsorganisation KNU in der ethnischen Zivilbevölkerung zu brechen. Wer mit den Rebellen in welcher Form auch immer kollaboriert, so die Botschaft des „Drachenkönigs“, der ist seines Lebens nicht mehr sicher. Diese Politik in den Gebieten der ethnischen Minderheiten ist ein häßliches Erbe aus der Kolonialzeit. Nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ versuchten schon die Briten die Vormachtstellung Ranguns gegenüber den Ethnien zu sichern. Als systematischer Terror der Militärregierung SLORC (Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung) hat diese koloniale Tradition auf grauenvolle Weise überlebt. Die Berichte von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die man in den Dörfern hört, gleichen und wiederholen sich. Mit der globalen Beschuldigung, sie unterstütze die Rebellenarmeen ihrer jeweiligen

Volksgruppe, verlangen die SLORC-Soldaten der Zivilbevölkerung bei jedem „Besuch“ Geld oder Sachleistungen ab. Frauen jeden Alters werden vergewaltigt, sogar vor den Augen der Angehörigen. Ungezählte Menschen wurden in den vergangenen Jahren als „Träger“ für die Regierungsarmee zwangsrekrutiert, um Waffen und Munition durch den Dschungel zu transportieren. Diese „menschlichen Minensucher“ mit schwerem Gepäck müssen den Truppen vorauslaufen und bekommen kaum etwas zu essen. Überlebt haben eigentlich nur einzelne, denen die Flucht gelang.

Kürzlich erklärte die Dachorganisation der demokratischen Widerstandsgruppen, die Democratic Alliance of Burma (DAB), sie prüfe ein Waffenstillstandsangebot des SLORC. Erstmals nach über vierzig Jahren Bürgerkrieg soll sich eine Delegation mit dem langjährigen Todfeind an den Verhandlungstisch setzen. Vorerst geht es nur um militärische Konditionen, die eine Voraussetzung für politische Verhandlungen sind. Ein wenig Hoffnung weht also durchs Land, wenngleich diese Brise bei einzelnen Rebellenführern oder in den Exilgruppen stärker zu spüren sein dürfte als etwa in D'wo Tah. Dort braucht man keine langen Gespräche zu führen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welcher riesigen Anstrengung es bedarf, um jahrzehntelange Feindschaft in friedlichere Verhältnisse zu transformieren. Rangun scheint von dort so weit, Bosnien dagegen ziemlich nah.

(* Namen sind geändert)