nd-aktuell.de / 31.12.1993 / / Seite 13

Von Prof. Dr. KLAUS KINNER

Werbeplakat der KPD, Anfang 1919

Opfer zu beklagen und international einen entscheidenden Beitrag zur Zerschlagung des Faschismus geleistet hatte.

Die Logik von Nolte-Striefler: Tadelnswert sei nicht der Antikommunismus der Nazis - im Gegenteil! Zu tadeln sei dagegen, daß er im Ergebnis erfolglos blieb. Die eigentliche

Bedrohung im 20. Jahrhundert sei nicht der Faschismus, sondern der Kommunismus gewesen. Außer Betracht bleibt, in welche Orgien des Antihumanismus ein siegreicher Faschismus die Menschheit gerissen hätte...

In Auseinandersetzung mit einer nahezu geschlossenen

Verteufelung des gescheiterten Versuchs einer sozialistisch-kommunistischen Alternative zum Kapitalismus in nahezu allen politischen Lagern stellt sich auch für linkes Selbstverständnis die Frage danach, was von der Geschichte der kommunistischen Bewegung, was vom Sozialismus bleibt. War die Gründung der KPD vor 75 Jahren, die Herausbildung der kommunistischen Weltbewegung ein Aufbruch in die Illusion? Es sei ein Gedankenexperiment gestattet.

Welche demokratisch-zivilisatorischen Eigenschaften hätte die auf der kapitalistischen Produktionsweise gründende bürgerliche Gesellschaft im 20. Jahrhundert ausgeprägt ohne die Herausforderung der sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung, ohne den Kampf um die sozialistische Alternative und den Versuch seiner Realisierung? Der real existierende Kapitalismus hat zwei Weltkriege geführt, deren Ursachen nicht in der Systemauseinandersetzung mit dem Sozialismus gründeten, sondern systemintern waren. Er hat mit dem Faschismus einen reaktionären, antihumanen Herrschaftstyp hervorgebracht, der eben nicht - wie Nolte behauptet - primär eine Antwort auf den Sozialismus, sondern auf die inneren Probleme des Kapitalismus geben sollte. Nicht der Antibolschewismus war im zeitlichen Ablauf der begründende Impuls für den deutschen Faschismus, sondern der Antihumanismus, der Aritidemokratismus und Antiparlamentarismus. Diese waren älter und ursprünglicher, als der sich später mit ihnen verquickende Antibolschewismus.

Indem der Kapitalismus sich durch die sozialistische Arbeiterbewegung und die staatlich institutionalisierten sozialistischen Großversuche stets in Frage gestellt sah, indem'seine Eliten erkennen mußten, daß der faschistische Herrschaftstyp zu große Un- 1 - 1 wägbarkeiten für die Systemerhaltung in sich barg, wurden Räame für demokratischzivilisatorische Rechte und Freiheiten gewonnen. Wenn

heutige und künftige emanzi patorische Entwicklung al; Ringen um radikale Demokrat tie begriffen werden kann, di< den Kapitalismus bis zu seine: Unkenntlichkeit verändert, st ist dieser Weg nicht mit altei Revolutionskonzepten zu beschreiten, jedoch auch nich zu denken ohne die Erfahrun gen der kommunistischen Arbeiterbewegung und des Versuchs der Errichtung soziali-

stisohpr Gpselishhaf

Hierzu gehören die erster Schritte der Sowjetmacht wi« auch deren fundamentale Kritik durch Rosa Luxemburg Der Versuch der Spartakist« und der jungen KPD, die deutsche Revolution von 1918/1J über die mehrheitssozialdemokratischen Ziele des Kompromisses mit der Reaktior hinauszutreiben, gehört ebenso hinzu wie ihr Kampf um die elementaren Interessen dei werktätigen Bevölkerung.

Die Luxemburgische Linie des Ringens um einen demokratischen Sozialismus wirkte innerhalb wie außerhalb dei KPD weiter. Dafür stehen Namen wie Paul Levi, Aügusi Thalheimer, Paul Frölich oder Clara Zetkin. Aber auch mil der Zurückdrängung diesei Richtung und der zunehmenden Dominanz stalinistischei Strukturen läßt sich das Wirken dieser Massenpartei nichi auf die Umsetzung Moskauer Direktiven reduzieren. Im antifaschistischen Kampf der Mitglieder und Sympathisanten der KPD entäußerte sich unabhängig von Weisungen der Parteizentralen ein kämpferischer Demokratismus.