nd-aktuell.de / 08.01.1994 / / Seite 13

Die Akte und der Angeklagte

Eigentlich heißt er ja Josef der Jupp Angenfort. Dei Name aber steht nur in seinem Ausweis und in den umfangreichen Gerichts- und Verf assungsschutzakten, die sich irr. Verlaufe der Jahre so angesammelt haben und ihn, wie ein Freund einmal sagte, gewiß um mehr als um Haupteslänge überragen dürften.

Dabei begann das Leben des am 9. Januar 1924 in Düsseldorf geborenen Sohnes eines Eisenbahners ganz normal. Die katholischen Eltern mochten die Nazis nicht, waren aber auch keine Widerständler. 1943 wird er Soldat. Am 7 Oktober d.J, gerät er bei Leningrad in Gefangenschaft. Als ein Schlüsselerlebnis jener Tage nennt er später die langen Gespräche mit einem perfekt deutsch sprechenden Major, dessen ganze Familie bei Leningrad ums Leben gekommen war. „Da begann ein Prozeß der Erkenntnis, der sich dann fortsetzte, als ich in einem Antifa-Lager deutsche Kommunisten kennenlernte“, erzählte er mir einmal.

Am 2. Weihnachtsfeiertag 1949 ist er zurück aus der Gefangenschaft wieder in Düsseldorf. Für ihn ist klar: Einen solchen Krieg darf es nicht wieder geben, und die Ordnung, die solche Kriege möglich macht, muß geändert werden. Er wird Mitglied der KPD 1951 zieht er für die KPD in den Landtag von Nordrhein-Westfalen ein. Da ist er schon Vorsitzender des Zentralbüros der FDJ in der Bundesrepublik. Die wird im selben Jahr im Gefolge des eskalierenden Kalten Krieges im ganzen Bundesgebiet verboten. Mit dem „Blitzgesetz“ entstand eine neue politische Sonderjustiz, in die bald auch der junge Angenfort geriet. Unter dem Vorwurf der „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ wird er am 12. März 1953 - trotz Immunität als Abgeordneter - in Duisburg verhaftet. Nach zwei Jahren Untersuchungshaft spricht am 4. Juni 1954 der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofes das Urteil: fünf Jahr Zuchthaus. Wegen „Uneinsichtigkeit“ des Angeklagten werden sechs Monate Untersuchungshaft nicht anerkannt. So stehen am Ende dann fünf Jahre und sechs Monate Haft zu Buche - einige Jahre davon im Zuchthaus Werl, unter dem Direktor Fuchs, der, wie so viele andere Staatsbedienstete, nahtlos aus dem NS-Zuchthausdienst in die neue Ordnung übernommen worden war. Und als während der Haft sein Vater stirbt, darf Angenfort erst nach lauten öffentlichen Forderungen an das Grab - zwei der Herren aus der Abordnung der Sicherungsgruppe Bonn hatten schon bei der Gestapo gedient.

„Die meisten jener Hochverratsprozesse gegen verhaftete Kommunisten ... stehen auf schwachen Füßen. Die Anklagepunkte sind rasch aufgezählt; es sind ihrer im wesentlichen nur zwei: erstens Agitation gegen die .Remilitarisierung'..., zweitens Werbung für die Wiedervereinigung Deutschlands“, schrieb einer der angesehensten Publizisten der Alt-BRD, Müller-Meiningen, am 3. März 1954 in der „Süddeutschen Zeitung“ Angenfort, so weiter, sei „gewissermaßen Modellangeklagter“

Im nun vereinigten Deutschland hat sich bislang noch keiner entschuldigt für das, was dem Jupp Angenfort, heute Landesvorsitzender der W/BDA in Nordrhein-Westfalen, und seiner Familie angetan worden ist in den über 15 Jahren der politischen Verfolgung. HANS CANJE