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Schlechte Zeiten für Arbeitslose

WSI-Experte über Reformen, ABM, Facharbeitermangel und Mini-Jobs

  • Lesedauer: 7 Min.
Dr. Hartmut Seifert ist Abteilungsleiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
ND: In den vergangenen zwölf Monaten wollte Rot-Grün den Arbeitsmarkt umkrempeln. Sehen Sie erste Wirkungen?
Seifert: Es ist sicher noch zu früh, ein endgültiges Urteil über die Reformschritte zu geben. Einiges geht in die richtige Richtung, anderes wird die Erwartungen nicht erfüllen können. Für die Arbeitslosen war es kein gutes Jahr, weil die Zumutbarkeitsregelung jetzt noch einmal drastisch verschlechtert wurde. Und weil die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen stark zusammengestrichen wurden - das betrifft besonders die Förderung der beruflichen Weiterbildung und die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Mehr Druck auf die Erwerbslosen - das wird sich 2004 nicht ändern.
Ich halte diese Zumutbarkeitsregelungen, die keine Grenzen mehr haben, für kontraproduktiv, weil jeder Job angenommen werden muss - unabhängig von Qualifikation und Bezahlung. Damit werden Arbeitskräfte mit guten Qualifikationen gezwungen, weniger qualifizierte Tätigkeiten anzunehmen. Der künftige Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist programmiert.

Schon jetzt hört man, dass es in fünf Jahren an Fachkräften fehlt.
Wenn erst einmal Personen, die qualifiziert sind, eine gewisse Zeit in unterwertigen Tätigkeiten beschäftigt waren, wird man sie nicht mehr ohne Umstände in die alten Positionen bringen können. Sie haben dann ihre Qualifikation oder einen Teil davon verloren. Das wäre ein sehr aufwendiger, kostenträchtiger Prozess, diese Leute wieder umzuqualifizieren für ihre alte Tätigkeit. Das ist Wahnsinn.

Woran machen Sie den künftigen Facharbeitermangel fest?
Es gibt zwei Bewegungen: Die eine ist die langfristige Bewegung auf Grund der demografischen Veränderungen. Am Ende dieses Jahrzehnts wird der Zustrom an jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräften aus den Schulen, Lehrwerkstätten und Universitäten abebben. Und die zweite Bewegung ist die Konjunktur: Sobald sie wieder anzieht, wird ganz schnell auch wieder die Debatte um den Fachkräftemangel aufkommen. Nämlich dann, wenn die Unternehmen mit Neueinstellungen beginnen. Diese Erfahrung haben wir in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten immer wieder machen müssen. Doch man zieht daraus keine Lehre.

Die qualifizierten Leute wiederum verdrängen die weniger Qualifizierten.
Das ist selbstverständlich. Jeder Unternehmer wird für eine einfache Tätigkeit eher einen besser Qualifizierten einstellen. Vermutlich wird ein Unternehmer nicht den Diplomingenieur auf einen unqualifizierten Arbeitsplatz setzen. Das gebe Schwierigkeiten im Betrieb auch unter den Kollegen. Aber es gibt einen gewissen Druck, unterwertige Beschäftigung anzunehmen.

Eine weitere Entwicklung 2003 waren die Kürzungen bei der Weiterbildung.
In der beruflichen Weiterbildung liegen die aktuellen Zahlen in ganz Deutschland um ein Drittel unter den Vorjahreswerten. Und in Ostdeutschland ist die Teilnehmerzahl um über 40 Prozent gesunken.

Wie steht es mit der Qualität der Weiterbildungsträger?
Das sind zweierlei paar Schuhe. Eine gute Qualitätskontrolle heißt doch noch nicht, dass man insgesamt den Mitteleinsatz reduziert. Man muss auch genau sehen, was machen die Weiterbildungsträger, was bieten sie an, welche Qualität liefern sie, in welchen Berufen oder in welchen Tätigkeiten wird qualifiziert. Und das sollte möglichst auch im Zusammenspiel mit den Betrieben geschehen, die Arbeitskräfte suchen und teilweise über Fachkräfte klagen. Dann sollen sie sagen, was sie benötigen, und dann sollen die Arbeitsämter und Jobcenter entsprechend handeln. Das Zusammenstreichen hilft dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, aber nicht dem Arbeitsmarkt auf Dauer.

Auch bei ABM wird radikal gestrichen. Ein Problem besonders für die strukturschwachen Regionen?
Richtig. Vor allen Dingen in den von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Regionen in Ostdeutschland ist das im Augenblick die einzige Chance, erstens ihre Infrastruktur zu erhalten sowie zweitens den Arbeitskräften überhaupt eine Möglichkeit zu geben, sich ihre Erwerbsfähigkeit zu bewahren und ein Einkommen zu beziehen. Sonst bleibt ihnen nur noch das künftige Arbeitslosengeld II - das wäre die Alternative. Da aber werden sie bezahlt fürs Nichtstun. Sicher ist: In diesen Regionen wird es trotz Zumutbarkeitsverschärfung keine neuen Arbeitsplätze geben.

Dafür mehr Armut?
Natürlich, das ist die Konsequenz. Immer mehr Menschen, insbesondere die Langzeitarbeitslosen, rutschen in die Sozialhilfe hinein. Das hat Folgen für sie und ihre Familien.

Das bedeutet Ausgrenzung. Jemandem, der längere Zeit Sozialhilfe bezieht, ist fast jede Rückkehr versperrt.
ABM ist da auch nur die zweitbeste Lösung. Mir wäre es lieber, man hätte ein Infrastrukturinvestitionsprogramm, man würde die Mittel ausschreiben und privaten Investoren Zuschüsse gewähren für den Infrastrukturausbau und dann regulär Arbeitskräfte - und sei es nur befristet - beschäftigen können. Man würde Unternehmen vor Ort mit Aufträgen versorgen, so dass ein Wirtschaftskreislauf in Gang kommt. Aber da wir kein Infrastrukturprogramm haben, bleibt als Alternative eben nur ABM.

Warum wird kein Infrastrukturprogramm umgesetzt?
Gegen öffentliche Investitionsprogramme gibt es eine Stimmung im Lande, die ich nicht erklären kann.

Woher kommt diese Antihaltung?
Gesagt wird immer, das sei ein Strohfeuer, das bringe nichts. Dabei haben wir in der alten Bundesrepublik keine schlechten Erfahrungen damit gemacht. Ich denke da an das Zukunftsinvestitionsprogramm von 1979. Das war ein Programm, das dazu diente, die Infrastruktur aufzubauen und konjunkturelle Impulse zu geben. Das war ein erfolgreiches Programm.

Würden Sie die Prozesse, die 2003 auf dem Arbeitsmarkt angestoßen wurden, als eine Reform bezeichnen?
Es ist schwierig, da einen geeigneten Terminus zu finden. Es gibt da Reformansätze, die richtig sind, wie den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit, die stärkere Orientierung auf Vermittlung und den Ausbau dieser Aktivitäten. Das ist sicherlich alles richtig. Aber das Zurückfahren der beruflichen Weiterbildung wird sich langfristig als fatal herausstellen. Und was die Mini-Jobs und die Personalservice-Agenturen (PSA) betrifft - da gibt es nicht die Erfolge, die man ursprünglich daran geknüpft hat.

Mini-Jobs sind eher etwas für Studenten, Hausfrauen und Rentner?
Oder auch für Beschäftigte, die einen Nebenjob machen. Man wird damit aber nicht die Arbeitslosigkeit verringern. Und das war ja die große Hoffnung. Und die PSA sind in eine Situation der konjunkturellen Schwäche hineingekommen, da fragen Unternehmen weniger nach Leiharbeitskräften als in Boomphasen.

Wird nun 2004 alles besser?
Im nächsten Jahr wird es nach unserer Auffassung zu einem leichten Aufschwung kommen. Alle Indikatoren deuten darauf hin. Der Geschäftsklima-Index ist günstig, die Konjunktur erholt sich. Wir sind ein exportstarkes Land und bekommen Impulse von außen. Die Binnennachfrage wird weiterhin eher verhalten ausfallen. Das gilt für den privaten Konsum. Die Lohnabschlüsse sind zwar noch nicht gemacht, aber im Vorfeld müssen sich die Gewerkschaften wohl auf einen harten Widerstand der Arbeitgeberverbände einrichten, so dass von der Kaufkraftentwicklung keine allzu starken Impulse ausgehen werden. Die öffentliche Hand fällt als stimulierende Kraft für den Aufschwung auch aus, die Verschuldungsgrenze ist erreicht. Für den Arbeitsmarkt aber wird das alles noch nichts bringen: Vielleicht wird der Abbau der Beschäftigung langsam gestoppt werden, aber es wird kein Wachstum an Arbeitsplätzen geben.

Ist die Drohung einiger Unternehmen, in Richtung Osten abzuwandern, eigentlich ernst zu nehmen?
Das ist schwer einzuschätzen. Bislang ist die Abwanderung an Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer eigentlich nicht so groß gewesen, wie man auf Grund der Drohungen hätten erwarten können. Häufig werden die Belegschaften unter Druck gesetzt, betriebliche Bündnisse für Arbeit abzuschließen und dabei schlechtere Bedingungen bei Arbeitszeit, Einkommen und Arbeitsorganisation zu akzeptieren. Im Gegenzug machen die Unternehmen dann Zusagen, am Standort zu investieren, nicht outzusourcen, und sie geben auch Beschäftigungsgarantien für einen relativ langen Zeitraum. Dass aber Unternehmen ins Ausland gehen mit Teilen ihrer Produktion ist ein ganz natürlicher Prozess, weil sie auch auf ausländischen Märkten präsent sein wollen, weil sie dort Absatzchancen sehen und marktnah operieren wollen. Außerdem gibt es natürlich auch immer Abwanderungen von bestimmten Produktionsteilen oder auch Dienstleistungen ins Ausland, weil dort billiger produziert wird. Das ist ein Strukturwandel. Weil das so ist, muss man hier auf in Bildung, Forschung und Entwicklung investieren müssen. Doch wird die Zukunft verschlafen. Das ist mein großer Kritikpunkt. Da fehlt eine Reform.

Fragen: Larissa Schulz-Trieglaff
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