Treppauf - treppab - immer auf Trab: Ein deutscher Hoffnungsträger 2004

Florian Gerster

  • Georg Behrend
  • Lesedauer: ca. 9.0 Min.

Warum nur wird Florian Gerster, einer der großen Visionäre landesweiter Vollbeschäftigung, von breiten Teilen der hiesigen Wohnbevölkerung derart verkannt? Wieso kann sein abflauendes Sozialprestige mittlerweile nicht mal mehr mit dem von Jürgen Drews oder Günter Nooke konkurrieren? Ganz einfach: Weil wir über unseren führenden Arbeitsvermittler so gut wie nichts wissen. ND hat sich - unterstützt durch eine für nur wenige Millionen Euro verpflichtete Beraterfirma - kundig gemacht und will versuchen, diese Lücken zu schließen.

Wir wollen nicht nur in die Welt der kalten Zahlen und Fakten eintauchen. Vor allem und zunächst möchten wir den Menschen Gerster vorstellen, seine Träume, seine Gefühle, seine kleinen und großen Geheimnisse.

Biografie
Geboren: ja
Entwicklung: weitgehend unauffällige Kindheit, schwach ausgeprägte Pubertät, durchschnittliches Studium der Psychologie und Betriebswirtschaftslehre
Privat: Heirat mit der späteren Frau Gerster, Kinder. Der Familienalltag wird bestimmt durch eine offene (Frau Gerster, die Kinder), sehr kritische Haltung (die Kinder). Ihr Hauptvorwurf gegen den Vater hinsichtlich seiner Partnerwahl: keine Ausschreibung.
Karriere: Der anfänglich recht blasse Psychologe und Betriebswirtschaftler entpuppt sich später auf diversen Ministerposten als eher farbloser Regierungsbeamter. Doch erst auf dem Stuhl des Vorsitzenden des Vorstands der Bundesanstalt für Arbeit kann er seinen meist als konturlos beschriebenen Arbeitsstil voll zur Entfaltung bringen. 

Nachdem wir den »Arbeitsvermittler aus Leidenschaft«, wie er sich selber gern nennt, persönlich und privat kennen gelernt haben, wollen wir ihn natürlich auch in seinem Berufsalltag näher vorstellen. Was bewegt ihn, was treibt ihn an, woher nimmt er seine unerschöpfliche Energie beim täglichen Ringen für das Wohlergehen derjenigen Menschen, die der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit noch abwartend gegenüberstehen?

Beruf
Vorsitzender des Vorstands der Bundesanstalt für Arbeit. Um diesem Vollzeitjob nachgehen zu können, muss Florian Gerster Woche für Woche mit dem Dienstwagen von seinem Wohnort Worms an seinen Arbeitsort Nürnberg wechseln. Und am Wochenende wieder zurück. Und immer so weiter. Doch dieses beständige Hin und Her ist für den passionierten Pendler nicht nur der Zwang der Umstände, sondern auch eine Botschaft: Flexibilität ist eine Forderung, die er natürlich an alle Arbeitslosen richtet, vor allem aber an sich selbst. Dabei weiß der gut informierte Anstaltsleiter selbstverständlich, dass nicht jeder Arbeitswillige, der fern der Heimat einen Job bekommt, über einen Dienstwagen verfügt. »Doch dafür«, so sagt er schelmisch, »hab' ich ja umso mehr.« 

Vorbild
Das ist Gerster für viele Arbeitsuchende in Wort und Tat. Schon im Frühsommer 2001 - damals hielt sich der fotogene Brillenträger noch als Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz so einigermaßen über Wasser - ließ er mit einer legendären Forderung aufhorchen. »Arbeit muss sich wieder lohnen«, verlangte er seinerzeit ultimativ. Für die näher Interessierten erklärte der gewiefte Sozialpolitiker auch die komplizierten Details: Die Arbeitswelt befinde sich im Umbruch, daher müsse die Arbeitsmarktpolitik mit innovativen Instrumenten reagieren. Die Fachwelt antwortete damals mit zustimmendem Raunen und einhelliger Anerkennung. Doch Gerster ließ es nicht bei seiner Ankündigung bewenden: Im März 2002 vollzog er den Umbruch und wechselte nach Nürnberg ins oberste Arbeitsamt. Damit sich seine Arbeit dort auch lohne, bestand er ebenso konsequent wie innovativ darauf, doppelt so viel wie sein Vorgänger Jagoda zu verdienen. Also rund 250 000 Euro Jahresgehalt. Zugleich lebt Rentenexperte Gerster seiner Klientel eindrucksvoll vor, dass Vorsorge und soziale Sicherheit stets auch der Eigeninitiative bedürfen. Umsichtig vereinbarte er deshalb vertraglich mit der Bundesregierung, dass er auch nach einer möglichen Entlassung - welch Horrorvorstellung für über vier Millionen Menschen - bis 2007 sein volles Gehalt bekommt. 

Doch selbst Florian Gerster, ein Mann, der sich oft viele Stunden hintereinander in Besprechungsräumen oder Büros aufhalten muss, ist nicht rund um die Uhr ausschließlich der knallharte Sachwalter der Interessen seiner Kunden. Ebenso gehören zu ihm, und genau das macht ihn so menschlich, so sympathisch, seine kleinen, kauzigen Kapriolen.

Marotten

Berufspendler Gerster hat ein liebenswertes Faible für Dienstwagen. Manche sprechen von 300 (Gerster), andere von 900 (die Presse). Was auch immer davon stimmt, es hat eine für den hingebungsvollen Dienstwagennutzer Gerster schmerzliche Konsequenz: Er schafft es einfach nicht, sie alle nur für sich fahren zu lassen. Aus diesem Grund war Behördenchef Gerster gezwungen, viele Fahrer einzustellen sowie Mitarbeiter, die von den Fahrern in den Dienstwagen umhergefahren werden können. Dass sich damit zugleich die Situation am Arbeitsmarkt entspannt, ist ein schöner Nebeneffekt und eine Bestätigung für Gersters intelligente Doppelstrategie. Einer der Dienstwagen (7er-BMW) ist dem stets akkurat frisierten Wormser besonders ans Herz gewachsen. Deshalb trennt er sich auch am Wochenende nicht von ihm. Damit aber der Fahrer, der ihn am Freitagabend von Nürnberg nach Worms gebracht hat, anschließend trotzdem wieder nach Nürnberg gelangen kann, steht für diesen Zweck in Worms ein C-Klasse-Mercedes bereit. Zunächst scheint es für den außen Stehenden rätselhaft, wieso für die Rückfahrt des Fahrers im Mercedes nicht wiederum ein Fahrer zur Verfügung steht, sondern diese Tour von Gersters persönlichem Fahrer auch persönlich zu bewältigen ist. Hat Deutschlands wichtigster Arbeitsvermittler etwa einen potenziellen Arbeitsplatz übersehen? Wenn wir uns dann aber vor Augen führen, dass der Behörde auch beim allgemeinen Sparen eine Vorbildrolle zukommt, so können wir schon nachvollziehen, dass dieser Einschnitt zwar schmerzlich, momentan aber unvermeidlich ist.
*
Für Millionen Arbeitslose ist es gar nicht so einfach, sich ein konkretes Bild von ihrem bedeutendsten Fürsprecher zu machen, zumal der kaum Zeit hat, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Nicht nur, weil er sich häufig viele Stunden hintereinander in Besprechungsräumen oder Büros aufhalten, sondern weil er sich obendrein immerzu im 7er-BMW hin- und herfahren lassen muss. Doch teure Image- und Pressekampagnen wie diese sollen helfen, Vertrauen in die sachgerechte und zuverlässige Arbeit an der Spitze der Nürnberger Bundesanstalt zu wecken.

Kompetenz

Äußerlichkeiten sind für den Anstaltsvorsitzenden eher nebensächlich. Viel wichtiger sind für ihn gut sitzende Anzüge, komfortable Dienstwagen und Arbeitsräume mit unverkennbar gehobener Ausstattung. Deshalb scheute er bei seinem Amtsantritt auch nicht die Mühe, für 1,8 Millionen Euro die unerlässliche repräsentative Ausstrahlung einiger Nürnberger Diensträume aufzuwerten. Prompt wurde ihm sein Eifer negativ angekreidet, der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Lange mutmaßte gar, »dass hier Wasserhähne vergoldet« würden. Dabei wendete die Behörde, wie ein Sprecher unverzüglich klarstellte, für »den unmittelbaren Vorstandsbereich«, also für Räume Gersters sowie zweier weiterer Vorstände, gerade mal 295 000 Euro auf. Der Rest ging für schönere Konferenzräume und einen schöneren Pressesaal drauf. Doch der Ausstattungsgrad von Büros und Konferenzräumen ist natürlich kein Selbstzweck, sondern wichtig für das Wohlbefinden. Besonders für das derjenigen Mitarbeiter, die - wie Gerster - mitunter mehrere Stunden hintereinander dort verbringen müssen. Ob es nun an diesem nunmehr angenehmeren Aufenthalt oder doch eher an der bloßen Anwesenheit Florian Gersters liegt - auf jeden Fall wurde die Bundesanstalt für Besucher attraktiver. Während Gerster-Vorgänger Jagoda seine Gäste noch mit Imbissen und Erfrischungen für zuletzt 37 500 Euro pro Jahr abspeisen konnte, musste sich Gerster für seine Gastgeberpflichten schon 66 000 Euro genehmigen lassen. Inwieweit sich der Hausherr - aus Höflichkeit - am Verzehr dargebotener Speisen und Getränke beteiligt, ist wertmäßig nicht beziffert.
*
Gerster ist kein Einzelgänger, Kommunikation und vielfältige Freundschaften sind ihm wichtig. Durch die glückliche Ausgewogenheit von Intellekt und Emotionen aber weiß und fühlt er jederzeit, dass man sich um Freunde auch bemühen muss.

Freunde

Bernd Schiphorst
*
Bei allem berechtigten Selbstbewusstsein neigt Gerster nicht dazu, sich zu überschätzen. Er beharrt nicht darauf, Alles und Jedes selbst am besten zu wissen, sondern holt sich bei Bedarf auch externen Sachverstand ins Haus. Zu diesem Zweck trifft die Behörde dann ganz offizielle Vereinbarungen.

Beratervertrag

Vertragsnehmer: WMP Eurocom, vertreten durch Bernd Schiphorst
*

Vertragsziel

Irgendwelche Ideen, die man in der Behörde - möglichst - brauchen kann.
*

Vertragserfüllung

Schon nach kurzer Zeit hatten sich Ideen im Wert von etwa 500 000 Euro angehäuft. Doch bevor auch noch Überlegungen für die restlichen 800 000 angestellt werden konnten, tauchten Kritiker auf. Wieder hieß es, wie schon in Gersters engstem Umfeld (Kinder): keine Ausschreibung. Zudem wollten einige sogar den Vertragstext lesen. Ein in Zeiten der völligen Ignoranz von Beipackzetteln und Bedienungsanleitungen wenig glaubhaftes Ansinnen. Dennoch gab Vertragspartner Schiphorst überraschend schnell auf, zog die WMP und damit sich aus dem Vertrag zurück. Leider, und das wird bei solch vermeintlichen Triumphen der Medienmehrheit schnell übersehen, ist dadurch über die anfängliche Mitwirkung der Ideen- und Lobbyagentur absolut nichts bekannt geworden. Drohen auf diese Weise teure, also wertvolle Einfälle verloren zu gehen?
*
Was in Gersters etwas lässigem Behördenslang »Umstrukturierung der Kommunikationsabläufe und der Öffentlichkeitsarbeit« heißt, wurde von den WMP-Lobbyisten längst in ganz pragmatische Überlegungen umgesetzt. Wann die Bundesanstalt diese Ergebnisse öffentlich macht, darüber gibt es bis jetzt nur Spekulationen.

Interna

Ganz oben in Gersters Forderungskatalog - »lasst euch mal was einfallen« - standen Konzepte zur Überführung von Arbeitslosen in die freie Wirtschaft, bevorzugt als Unternehmer. Da im Unternehmersektor momentan die Sparte »Selbstständige« den stärksten Zulauf verzeichnet, hatten Schiphorst & friends vor allem an vielversprechenden Geschäftsideen gefeilt. Gersters erste Reaktionen spiegelten die ganze Gefühlsskala zwischen »euphorisch« und »total begeistert« wider. Trotz dieses insgesamt positiven Echos hob er einige Konzepte ausdrücklich hervor.
*

Gerster-Favoriten:

Geschenke-Nachbastler: Immer häufiger möchten Familien, die materiell abgesichert sind, Anverwandten von den eigenen Kindern gefertigte kleine Kostbarkeiten überreichen. Selbst gemalte Bilder, Scherenschnitte, Perlenstickereien, Weinglas-Untersetzer. Doch viele Kinder aus materiell abgesicherten Familien sind dazu feinmotorisch sowie mental nicht in der Lage. Und haben außerdem keine Lust dazu. Diese Lücke macht sich der Geschenke-Nachbastler zu Nutze: Mit vorgetäuschter Ungeschicklichkeit hinterlässt er unübersehbare tapsige Fehler, malt Hände mit sieben Fingern, arbeitet kleine Blutflecken ein (»da hab' ich mich gepiekst«), um so die unverfälschte emotionale Wirkung abzusichern.
Michael-Ballack-Werbe-Designer: Auf Grund moderner Seh- und Hörgewohnheiten werden selbst kleinste Holperer als störend empfunden. Der Ruf nach Ballack-Werbespots, in denen zunächst das Wort »surfen«, später der gesamte Ballack-Sprechteil vermieden werden kann, wird deshalb immer lauter. Wegen der sich letztlich negativ auswirkenden Dauerpräsenz könnten Ballack-Spots, in denen auch auf den visuellen Auftritt des Fußballspielers verzichtet wird, der ganz große Renner werden.
Selbstständiger Arbeitsvermittler: Da die Nürnberger Anstalt den gesamten Vermittlungsberg unmöglich ganz allein bewältigen kann, setzt Gerster große Hoffnungen in die Hilfe privater Vermittler. Auch wenn jeder von ihnen nur einen einzigen Arbeitslosen in Lohn und Brot bringen könnte, so seine ehrgeizige Rechnung, wäre die Vollbeschäftigung perfekt. »Zwei Millionen Vermittler«, so Gerster, »das wäre der Durchbruch.« Und scherzhaft fügt er hinzu: »Dann wären wir hier die einzigen Arbeitslosen«.
*
Hat jemand, der jeden Arbeitstag Höchstleistungen bringen muss, überhaupt noch Zeit, um mal abzuschalten?
*

Ausspannen

Sich zu erholen, mal so richtig Kraft tanken, das ist gerade in Führungspositionen ganz besonders wichtig. Gerster weiß das, und er richtet sich danach. Am besten gelingt ihm das im Büro oder im Dienstwagen.
*

Pläne

Gerster ist keiner, der sich auf dem Erreichten ausruht. Und immer geht es ihm dabei um die anderen, um die, um deren Wohl er sich kümmert. Doch ihm, dem Unermüdlichen, ist das noch immer nicht genug. »Ich könnte mir schon vorstellen«, so blickt er hoffnungsvoll in die Zukunft, »m...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.