Die große Enttäuschung des Rafsan Eyub

Bagdad in diesen Tagen: Unsicherheit, Mangel und falsche Versprechungen

  • Karin Leukefeld, Bagdad
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Rafsan Eyub ist von Beruf Schiffsfunker. Eigentlich ein guter Beruf, sein Pech ist nur, Rafsan Eyub ist Iraker. Irakische Schiffe fahren seit 1990 nicht mehr, seit die Vereinten Nationen nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch in Kuwait das Embargo gegen Irak verhängten. Der 41-Jährige ist nervös. Seit Jahren sei er arbeitslos, sagt er heftig. Mit allen möglichen Jobs hat er versucht, seine Familie zu ernähren. Als am 20. März diesen Jahres der Krieg der britisch-amerikanischen Truppen gegen Irak begann, hoffte er noch, mit einem Sieg der Amerikaner werde sich das Leben in Irak zum Guten ändern. »Wir haben den Amerikanern vertraut, aber das ist jetzt vorbei. Nichts haben sie für die Leute hier getan, sie beschäftigen sich nur mit sich selber. Sie nehmen das Öl, das Land, alles für sich. Die Leute, die sie mitgebracht haben, um das Land zu kontrollieren, arbeiten für sie. Alles, alles für sie, das ist eine große Enttäuschung. Wir sind ohne Hoffnung.« Am schlimmsten sei die fehlende Sicherheit, in diesem Jahr sei sogar die Mitternachtsmesse zu Weihnachten ausgefallen. Rafsan Eyub ist Christ. Anders als viele seiner Glaubensgenossen hat er keine Angst vor den irakischen Muslimen. Die Muslime, die neuerdings aus anderen Ländern kämen, so Herr Eyub, seien ihm aber nicht geheuer. »Einige dieser Leute sind wirkliche Terroristen, sie sind gegen Christen, gegen Juden, aber auch gegen Muslime.« Solange er zurückdenken kann, seien Muslime seine Nachbarn gewesen. »Wir leben und arbeiten mit ihnen.« Auf einem irakischen Ölschiff werde er wohl nie wieder arbeiten, kommt Rafsan Eyub resigniert auf sein Existenzproblem zurück. »Die Amerikaner haben uns eine Menge Träume gegeben. Aber jetzt sind sie hier und nichts ist geschehen.« Ähnliches kann man in diesen Tagen in allen Teilen Bagdads und auch außerhalb der irakischen Hauptstadt hören. Die Menschen sind es müde, sich noch länger falsche Versprechungen anzuhören. Der Lebensstandard war schon vor dem Krieg sehr niedrig, die beiden vorangegangenen Golfkriege und schließlich die UNO-Sanktionen hatten das einst reiche Land verarmen lassen. Doch das, was den Menschen heute zugemutet wird, übersteigt die Kräfte des geduldigsten Irakers. Nach wie vor mangelt es in dem Ölland an Benzin, die Stromversorgung in der Sieben-Millionen-Metropole Bagdad war noch nie so schlecht wie heute und Arbeitsstellen gibt es auch nicht. Wer keine glaubwürdige offizielle Erklärung bekommt, flüchtet sich in eigene Analysen. »Man will uns beschäftigen, sie wollen nicht, dass wir unser eigenes Leben in die Hand nehmen«, sagt ein junger Mann, der seit vier Stunden mit seinem Auto vor einer Tankstelle wartet. Er hat früher als Fahrer beim Außenministerium gearbeitet, erzählt er, seinen Namen will er nicht nennen. Seit April ist er ohne Arbeit und ohne Einkommen. »Meinen Sie, ich könnte als politischer Flüchtling nach Deutschland kommen?« Mangel fördert Korruption, das war schon in der Zeit der UNO-Sanktionen so. Der zuständige Minister für Elektrizität, Dr. Aiham Al-Samarae, hat vor zwei Wochen ein halbes Dutzend hochrangiger Ingenieure entlassen, weil sie gegen Schmiergeld Strom verteilt haben sollen. Die Nachfolger der Geschassten haben eine schwere Aufgabe übernommen. Der junge Ingenieur Abu al-Kharaba (Name auf Wunsch des Gesprächspartners geändert) hat erst vor zwei Wochen seinen neuen Posten als Leiter einer Elektrizitätsversorgungsstelle in Bagdad angetreten. Im Hof des kleinen Gebäudes dröhnt ein Generator, anderen Strom gibt es nicht. Es gebe so viele Probleme bei der Stromversorgung, man wisse gar nicht, wo man anfangen solle, sagt der Mann und schlürft erst einmal seinen heißen Tee. Früher wurde Bagdad mit Strom aus den Provinzen beliefert, das ist jetzt vorbei. Die zwei Elektrizitätswerke für Bagdad seien den Anforderungen nicht gewachsen, berichtet Abu al-Kharaba, zu viele Menschen brauchten Strom. Ob die Leute nicht wütend seien? Der Manager lächelt etwas gequält, nein, sagt er. In dem Moment kommt ein Mann herein gestürmt. Ohne zu warten, redet er auf Abu al-Kharaba ein, was das Zeug hält: »Habt ihr uns vergessen, was ist los? Seit vier Tagen sitzen wir zu Hause ohne Strom. Nur eine einzige Stunde wurde Strom geliefert!« »Es tut mir Leid, mein Lieber«, sagt al-Kharaba und legt dem Mann beruhigend die Hand auf die Schulter. »Du siehst ja, wir sind auch ohne Strom. Auch bei mir zu Hause gibt es keinen.« Die Sprachlosigkeit zwischen der irakischen Bevölkerung und den amerikanischen Besatzungstruppen ist groß. Das Erscheinungsbild der Soldaten auf Bagdads Straßen signalisiert Distanz: in kleinen Konvois fahren sie durch die Stadt, das Maschinengewehr im Anschlag, das Gesicht neuerdings wegen der Kälte mit schwarzen Schals vermummt. Irakische Autofahrer halten Abstand, zu nah neben einem Konvoi zu fahren, kann tödlich sein. Bei Straßensperren und Kontrollen mangelt es den Besatzungstruppen an jeglichem Gespür. »Sie schlitzen die Sitze in den Minibussen auf«, empört sich Suhaila, eine irakische Geschäftsfrau. Fahrer von Minibussen haben sich oft hoch verschuldet, um einen solchen Wagen kaufen zu können. »Wer ersetzt den Leuten den Schaden?« Ein neuartiges Projekt startete vor wenigen Wochen das 1. Bataillon der 82. Luftlandedivision in Falludscha, westlich von Bagdad. Der 25-jährige Captain Ryan Huston hielt täglich eine Art Bürgersprechstunde im örtlichen Bürgermeisteramt ab. Die Sprechstunde sei ein voller Erfolg, meinte er noch Anfang Dezember. Gewöhnt an autoritäre Strukturen, schienen die Iraker aus Falludscha das Angebot anzunehmen. Jeden Morgen bildete sich vor dem Tor des Gebäudes eine lange Schlange. Die Leute erhofften sich Auskünfte über verschwundene und inhaftierte Angehörige, finanzielle Unterstützung für von Amerikanern verwundete Angehörige, Wiedergutmachung für Wohnungseinrichtungen, die bei einer der US-amerikanischen Razzien zerstört worden waren. Auskünfte, die sie nur sehr selten erhielten. Nach der Festnahme von Saddam Hussein war es mit der Bürgersprechstunde vorbei. Aufgebrach...

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