Die Farbe Orange sollte Bush zur Schamröte führen

Terrorwarnungen am laufenden Band: Offenbar heiße Luft, doch damit halten die USA die westliche Welt in Angst

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Warnungen der USA-Regierung, es stünden neue, schwere Terroranschläge bevor, trüben die Festtagsstimmung. Nicht nur jenseits des Atlantik.
Auf den Philippinen sind zwei 55- und 56-jährige Brüder verhaftet worden. Grund: Sie hätten Verbindungen zu führenden Mitgliedern der Organisationen Abu Sayyaf und Islamische Befreiungsfront Moro. Die wiederum trieben es mit Al Qaida. Die Kausalkette wird mit dem Hinweis geschlossen, dass der jüngere der beiden US-Bürger als Techniker im kalifornischen Livermore-Strahlenschutzlabor gearbeitet hat. Die Ermittler ließen durchblicken, er könnte dem Älteren geheime Informationen gegeben haben, die der an einen großen Unbekannten weiterreichte. Die so »Verdächtigen« waren bereits am 13. Dezember verhaftet worden, dass erst jetzt darüber informiert wurde, hat vermutlich damit zu tun, dass die USA-Behörden dringend Belege für eine Anschlaggefahr brauchen. Kurz vor Weihnachten rief Washington (mal wieder) die zweithöchste Sicherheitswarnstufe »Orange« aus. In Straßen patrouillieren mehr Polizisten zu Fuß, Nationalgarde zog an Airports auf, man zeigte Raketen-Stellungen in Washington D. C.. Das FBI gab rund 18000 City- und State-Polizisten einen Tipp. Bei ihren Kontrollen sollten sie auf Kalender und ähnlich verdächtiges Handwerkszeug von Terroristen achten. Besonders verdächtig sei ein Farmer-Jahrbuch, in dem neben Wettertendenzen auch Angaben über Städte, Bundesstaaten sowie Brücken, Straßen, Dämme, Tunnels oder Gebäude enthalten sind. Besonders aufmerksam sollen die Polizisten sein, wenn in den Büchern verdächtige handschriftliche Notizen entdeckt würden. Der Herausgeber des Bauern-Almanachs, John Pierce, nahm die Anordnung des FBI eher als zusätzliche Werbung zur Kenntnis. Doch er bezweifelt, dass der Inhalt seines Büchleins für Terroristen von Interesse ist. Schließlich seien die viel zu humorlos, um die abgedruckten - überwiegend lustigen - Anekdoten zu mögen. Man mag sich über die »Indiskretion«, mit der die FBI-Warnung in die Öffentlichkeit kam, wundern. Man mag ihren polizeilichen Wert bezweifeln. Nicht jedoch ihren psychologischen. Immerhin erreicht man so bislang wenig von Terrorhysterie angesteckte Bevölkerungsschichten außerhalb der USA-Millionenstädte. Man sollte sich nicht täuschen, denn: Schlichte Gemüter erreicht man am besten mit schlichten Argumenten. Psychologisch clever ist auch die neue Strategie, andere westliche Staaten in die »Gefährdungslage« einzubinden. Nachdem Washington Mitte Dezember gegenüber der EU durchgesetzt hatte, dass die europäischen Airlines alle ihnen bekannten Fakten über Passagiere, die in die USA fliegen, vorab an USA-Dienste zu übermitteln haben, landeten die USA einen weiteren Schlag wohl nicht zufällig gegen die französische Air France. Ihnen reichte eine diffuse Terroristenwarnung, um kurzerhand sechs Flüge nach Los Angeles absagen zu lassen. Die französischen Sicherheitsbehörden nahmen 13 für die Flüge gebuchte Passagiere fest, ließen sie jedoch rasch wieder frei, da es keinerlei Hinweise auf Verbindungen zu militanten Gruppen gab. Doch der Zweck war aus US-Sicht erfüllt: Man hatte so nebenbei allen Konkurrenten von USA-Fluglinien klargemacht, wie schnell sie aus dem umkämpften Transatlantik-Geschäft sein können. Diese Woche ordnete das US-Heimatschutzministerium eine zusätzliche Variante dieses angeblichen Anti-Terror-Kampfes an: Ausländische Fluggesellschaften müssen künftig auf bestimmten USA-Flügen Sky-Marshals, also bewaffnete Flugbegleiter, an Bord haben. Andernfalls könne den Maschinen die Landung in den Vereinigten Staaten verweigert werden. Was Heimatschutzminister Tom Ridge dazu sagte, klang nur verbindlicher: »Wir fordern...zu dieser Schutzmaßnahme im Rahmen unserer Bemühungen auf, den Flugverkehr für Amerikaner und Besucher gleichermaßen sicher zu machen.« Sky-Marshals fliegen bereits bei einigen Flügen der Lufthansa und deutscher Charterfluggesellschaften mit. Grundlage dafür ist das Anti-Terror-Paket, das Schily umgehend nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 absegnen ließ. Auch die britische Regierung hatte eiligst angekündigt, dass sie die von Ridge verkündete Pflicht erfüllen werde. Doch sie hatte die Rechnung ohne British Airways und die Pilotengewerkschaft Balpa gemacht. »Wir wollen keine Waffen in den Flugzeugen«, sagte Balpa-Generalsekretär Jim McAuslan. Nicht nur britische Luftfahrt- und Sicherheitsexperten kritisieren, dass der Einsatz herkömmlicher Feuerwaffen an Bord zu verheerenden Ergebnissen führen könne. Sie verweisen darauf, dass exakte Gepäck- und Personenkontrollen sowie schuss- und einbruchsichere sowie videoüberwachte Cockpit-Türen wirksamer sind. Eines können diese relativ unauffälligen Maßnahmen jedoch nicht vermitteln: Angst - und die ist ein wichtiges Moment in Bushs Feldzug gegen das »Böse«.
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