nd-aktuell.de / 17.02.1994 / Politik / Seite 3

OStA Klein übte sich in Gedankenlesen

Die politische Auseinandersetzung mit solcher Abstrafung und ihre juristische Ahndung sind jedoch zwei verschiedene Dinge. Ungeachtet dessen bewertete die Anklagevertretung genannte Urteile allein nach bundesrepublikanischem Rechtsempfinden und suggerierte zudem, daß auch die Angeklagten in Wirklichkeit so gedacht hätten und gegen besseres Wissen Rechtsbeugung betrieben. „Die Angeschuldigten waren sich bewußt“, so heißt es in der Anklageschrift, „daß dieses Verhalten der Verurteilten (d. Ehepaares Pötzsch - d. Verf.) nicht geeignet war, die Tätigkeit staatlicher Organe in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Schließlich wußten die Angeschuldigten bei der Höhe des Strafmaßes, daß dieses zu dem den Verurteilten vorgeworfenen Verhalten außer jedem Verhältnis stand und daß die Freiheitsstrafe in dieser

Höhe nur deshalb verhängt wurde, um einerseits gegen weitere Regimegegner repressiv zu wirken, andererseits die Verurteilten nach Verbüßung eines Teils ihrer Freiheitsstrafe im Wege des mit der Bundesrepublik Deutschland vereinbarten Freikaufs devisenbrigend für die DDR abzuschieben.“

Letzteren Vorwurf akzeptierte das Gericht nicht. Ludwig Rehlinger, für die BRD jahrelang zuständig für die „humanitären Fragen“, wohinter sich der Häftlings-Freikauf verbarg, bestritt als Zeuge, daß DDR-Gerichte extra hohe Urteile fällten, um gewissermaßen die Freikaufs-Preise hochzutreiben: „Jede Bundesregierung hätte den Freikauf sofort gestoppt, wenn sie damit Häftlinge produziert hätte; aus politischen wie moralischen Gründen.“

Aber auch den Vorwurf der Rechtsbeugung konnte das Gericht nicht überzeugend belegen, weshalb beide Verurteilte Berufung einlegten. Immerhin existiert seit Dezember 1993 ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das für einen vergleichbaren Fall Gesetzwidrigkeit richterlichen Ver-

haltens immer dann ausschließt, „wenn die Handlung des Richters vom Wortlaut des Rechts der DDR gedeckt war“ Einen § 214 (Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit) hat es jedoch samt ausführlichem Kommentar in der DDR gegeben. Er sah Strafen bis zu fünf Jahren vor, und jeder Richter hatte sich daran zu halten. Im anderen Fall, so Verteidiger Nicolai, hätte er sich in den Augen der DDR der Rechtsbeugung schuldig gemacht, von anderen Folgen ganz zu schweigen.