nd-aktuell.de / 17.02.1994 / Kultur / Seite 22

Komik zwischen Kältepolen

Das Stükke-Theater macht Stücke für die Großstadt. Gut. In diese Programmatik reiht sich auch die neueste Produktion des Hauses ein - „Die schnellste Uhr des Universums“ nach der Vorlage von Philip Ridley („Der Disney-Killer“) in der Regie von Donald Berkenhoff.

Ridley/Berkenhoff erzählen die Geschichte des gehaarlackten Schwulen Cougar Glass (Felix Bresser), der, wie alle Jahre wieder, seinen 19. Geburtstag feiert. Rituell wird Glass an diesem Tag eine männliche Jungfer verspeisen, zum Beweis seiner ewigen Jugend, seiner dauernden Anziehungskraft. Doch diesmal soll alles schief gehen. Schon im Vorfeld der Zeremonie deutet sich an, daß sein masochistischer Lover und Hauszeremonienmeister Captain Tick (Torsten Buchsteiner) die Geburtstagsinszenierung nicht ein weiteres Mal mitspielen will. Obwohl er das Ambiente dem Anlaß entsprechend herrichtet, verläßt er den Ort der Opferung “nicht auf das gegebene Stichwort hin, und Cougar kommt nicht zum geplanten Stoß in die begehrliche Mitte seines Spaßmachers Foxtrot (Victor Schefe).

Durch diesen Mißerfolg ist er aber nicht nur um den Beweis seiner fiktiven Makellosigkeit, seiner ewigen Schönheit gebracht, sondern viel dramatischer - um die einzige Verbindung, die er mit der Welt, mit anderen Menschen zu unterhalten scheint: dem Sex, nicht im Sinne körperlichen Anschmiegens oder sinnlicher Kommunikation, sondern nach dem „Lego-?prinzip“' wo da was reingesteckt wird, wo sich ein Loch findet. Sein phalluszentriertes Weltbild beginnt zu zerbröckeln, seine „Jugend“ blättert ab wie die Reste des Make-ups beim Frühstück danach.

Verschärft wird die Situation noch durch das plötzliche Auftauchen von Foxtrots Freundin Sherbet Gravel (Lisa Adler), zumal es das Paar nicht unterlassen kann, sich im Angesicht des zerfallenden Glass Liebe zu gestehen, und diese, mit Verweis auf das Baby in Sherbets Bauch, noch zu untermauern. Das Ende der Party ist voraussehbar.

Erzeugt die Textvorlage Ridleys noch komische Situationen zwischen den Kältepolen der handelnden Personen, gestaltet sich seine „großstädtisch“ aufgeladene Poesie einigermaßen spannend, so kann man das von der Inszenierung nicht behaupten. Berkenhoff macht artiges, zu artiges Theater auf einem - zuweilen - schwarzen Text, ein Theater, das im Staatstheaterverständnis sicherlich böse sein will, wie u.a. Affinitäten des Regisseurs und des Bühnenbildners zu Inszenierungen von Castorff nahelegen.

Berkenhoffs Figuren, seine Bilder finden kein Verhältnis zu der Vorlage, die sie spielen. Und kein Verhältnis heißt, auch kein Mißv.er^ hältnis. Sie agieren weder kontrovers; in Bf ü-~ chen zur Textstruktur, noch gehen sie bruchlos, identisch in ihr auf; sie haben mit dem Text nichts zu tun, obwohl dieser als ihr Zentrum funktionieren soll. Die Handlungen sind vielmehr an ihm aufgehangen, wie Kleiderbügel an der Stange. Und das, was da hängt, ist Stangenmode aus dem Winterschlußverkauf, sind undifferenzierte Klischees, kleinbürgerliche Blicke auf die Oberfläche städtischen Lebens und Theaters. Damit verlieren beide, Text und Theater. MARIO STUMPFE

Donnerstags bis Sonntags, Dienstags, Mittwochs, 21 Uhr, im Stükke Theater, Hasenheide 54, Kreuzberg.