nd-aktuell.de / 12.03.1994 / Kommentare / Seite 10

„Realsozialismus“ was war er wirklich?

„Überwindung“ des Kapitalismus in Richtung Sozialismus müßte folglich nach Marx identisch sein mit dem Prozeß dialektischer Negation des warenproduzierenden Systems. Es ist in diesem Zusammenhang das unbestrittene Verdienst von Robert Kurz

(Kollaps der Modernisierung), den Marxschen Gedanken in Erinnerung gebracht zu haben, daß Sozialismus in dem Maße Entwicklungsmöglichkeit ist, in welchem die Produktiykräft der Arbeit die, Ab 7 koppelurig der gesellschaftlicheMe'pWduktiori'Vom^yi stem der abstrakten massenhaften Verausgabung von Arbeitskraft und damit die Aufhebung von Lohnarbeit und Kapital praktizierbar macht. Von daher verbietet es sich, das Wesen der kapitalistischen Gesellschaftsformation ausschließlich aus der Sicht der Verteilung des Mehrwertes auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln zu erfassen. Kritik am Kapitalismus bleibt dann nur moralischer Art.

Der Realist Marx hat im übrigen auf die Schwächen einer Gesellschaft verwiesen, die nichts anderes ist als „verallgemeinerte Notdurft“ Es handle sich dabei um „eine Gemeinschaft der Arbeit und die Gleichheit des Salairs, den das gemeinschaftliche Kapital, die Gemeinschaft als der allgemeine Kapitalist auszahlt“ (Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844). Könnte Marx hier so etwas wie den Realsozialismus gemeint haben?

Aus dieser Sicht erscheint es nicht abwegig, den Realsozialismus bezüglich seines Wesens als eine Art Staatskapitalismus zu bezeichnen. Das Produktivkraftniveau der Arbeit ließ ohne jeden Zweifel noch keine grundlegende Lösung des Systems der abstrakten massenhaften Verausgabung von Arbeit zu. Wenn Robert Kurz dies beachtend den Realsozialismus als „nachholende Modernisierung“ bestimmt, kann man dem kaum widersprechen.

Dagegen spricht auch nicht die Tatsache, daß im „Realsozialismus“ soziale Elemente einer sozialistischen Gesellschaft realisiert wurden bei gleichzeitiger Unterdrückung von Mechanismen, die für den Kapitalismus typisch sind. Obwohl beispielsweise den durch Konkurrenz vermittelten Normen des „übergreifenden Kapitalismus westlicher Prägung“ unterworfen, wurden im Binnenbereich des „Realsozialismus“ diese zumindest partiell außer Kraft gesetzt, um unter anderem gravierende soziale Differenzierungen zu vermeiden. Bewegung in Richtung Sozialismus gab es auch dahingehend, daß insbesondere soziale Bereiche von der Eskalation der Marktmechanismen verschont taliehen.

Trotzdem, auch das hatte seinen Preis. Der sichere Arbeitsplatz korrespondierte mit der Verletzung des Wertgesetzes. Diese Tatsache stand wiederum im Gegensatz dazu, daß Warenproduktion auf international hochentwickeltem Niveau mit sich verschärfender konkurrenzvermittelter Bestimmung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit einherging. In diesem Zusammenhang ist aber auch zu beachten, daß das gegebene Niveau der (Lohn)-Arbeit und entsprechend „verkürzte“ Bedürfnisstrukturen im wesentlichen keine andere als eine relativ einseitig konsumorientierte Motivation zuließen. Das heißt, gutgemeinte ganzheitlich-humane Orientierungen trafen bestenfalls ansatzweise die ihnen gemäßen so-

zialen Befindlichkeiten. Die Ausrichtung auf ein „soziales 'Wir^'Wsr 'als'Motivation- dem -auf ^individuellen -, - Egoismus zielenden „stummen Zwang der Konkurrenz“ aus der Perspektive betriebswirtschaftlichen Gewinns unterlegen.. Der Überraschungssieg der D-Mark im Jahre 1990 erscheint aus diesem Blickwinkel weniger sensationell.

Nun, das Ende des Realsozialismus ist bekannt, auch die neu entstandene Hoffnung bezüglich des Leistungsvermögens westlicher Marktwirtschaftsstrukturen.