Die Berliner Akademie der Künste bietet Gelegenheit zu einem Kunsterlebnis von hohem Rang. Dankenswerterweise hat sie die ihr abhanden gekommenen Ausstellungsräume im Marstall noch einmal gemietet und in Klangräume für Farben und Linien verwandelt. Still und eindringlich hängen Gemälde und Zeichnungen so beieinander, daß man jedes einzelne Werk unbeeinträchtigt aufnehmen kann und doch jene Verbindungen zu den anderen Arbeiten spürt, die ein faszinierend dichtes Lebenswerk ausmachen. Die Berliner Malerin Christa Böhme (1940-1991) brach dieses Werk jäh ab, als sie ihrem Leben kurz nach ihrem 50. Geburtstag ein Ende setzte. Ihre Arbeiten, die bis zuletzt eine spannungsvolle Harmonie bewahrten, verraten nichts von den Gründen für solchen bitteren Entschluß. Das „Prinzip Einsamkeit“ (Matthias Flügge) in ihrem Schaffen siegte wohl über ihre gesellige Verbundenheit mit Freunden, die alle Nahestehenden an ihr rühmten.
Christa Böhme malte und zeichnete Stilleben, Interieurs, Fensterausblicke, Akte, einige Freundesporträts und eine kurze Reihe strengster Selbstbildnisse. In ihnen sind ihr kräftezehrender hoher Anspruch ans eigene Tun und ihre Kunstauffassung mit äußer-
ster Konzentration erfaßt. Sie verbannte alle Symbolismen, Floskeln, gelehrte oder modische Betrachtungen aus ihrem Schaffen. Mit ihrem Mann Lothar Böhme und wenigen Gleichstrebenden arbeitete sie hartnäckig nur daran, das künstlerische Bild gegen den Ansturm anderer Medien, Kommunikationsweisen und operativer Zwecke zu behaupten. Das hieß für sie, Kunst als Kunst zu behandeln. Das Bild war ihr ein für sich bestehender geregelter Zusammenhang und sollte doch gleichzeitig ihr und uns die Gestalt und die emotionalen Werte von Objekten der Umwelt sinnlich vermitteln. Die immer gleiche Aufgabe war jedesmal neu zu lösen, konnte jedesmal mißlingen. Da bedurfte es keiner aufwendigen oder rasch wechselnden Bildthemen. Cezanne und andere, die ihm dichtauf folgten, waren die anspruchsvollen Lehrmeister für solche Arbeit am Bild.
Behutsam und energisch, seit Mitte der achtziger Jahre auch mit zunehmender Unruhe, trug sie dunkle Striche oder erregte Strichbündel auf. Vorwiegend erdenschwere Farbtöne, viele Abstufungen von Rot und Braun, zwischen denen überall ein helles Licht aus dem Bildgrund hervorbricht, formen einen Zusammenhang von Früchten, Blumen, Möbelstücken, Fensterflügeln, Häu-
serwänden und Gartenbäumen. Kohlezeichnungen von Akten fangen ein unglaubliches Maß an beglückendem Licht ein oder suggerieren mit sparsamsten Mitteln eine lebendige Bewegung.
In der DDR haben viele von uns die Notwendigkeit für Leben und Kunst, die in solcher Konzentration, Bescheidenheit und Arbeitsdisziplin steckt,
nicht genug gewürdigt. Ungeduldig erwarteten wir, daß sich diese Mühe um das Bild auch an Stoffen bewähre, die mehr von Größe oder Elend des Daseins erschließen könnten. Auch enge Künstlerfreunde der Christa Böhme wurden abwechslungsreicher in ihren Stoffen und Bildideen. Die Kommentatoren hatten über sie mehr zu schreiben, als über
Christa Böhme, deren Intensität sie doch bewunderten.
Heute stehen solche Werke abermals am Rande einer Kunstproduktion, in der es vorwiegend grell, groß, gewollt unverständlich, absurd und eitel zugeht. Wir dürfen aber mit Festigkeit behaupten, daß es allzeit Menschen geben wird, die beglückt und dankbar auf diese Fenster zur Welt, diese
schwingenden Farbklangtafeln, diese Bausteine zu einem nie endenden Realismus schauen.
Akademie der Künste, Galerie im Marstall, Marx-Engels-Platz 7, Berlin: Christa Böhme, 1960-1991 Malerei und Zeichnungen. Bis 15. Mai, Di-So 10-19, Mo 13-19 Uhr, Mi Eintritt frei
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/484187.selbstbehauptung-der-bilder.html