nd-aktuell.de / 22.07.1994 / Politik / Seite 5

Eine SP(D) in Sachsen

Cornelia Matzke war von 1990 bis 1992 stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne im sächsischen Landtag, über diese Zeit hinaus sozialpolitische Sprecherin der Fraktion und Mitglied im Ausschuß Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen. Ihre Brandreden wider die von den örtlichen Grünen mitgetragene Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger in Leipzig, aber auch ihre grobschnittigen Attacken gegen frühere SED-Verantwortungsträger sind berühmtberüchtigt. Wenn das ehemalige Mitglied des Landessprecherrats des Neuen Forum, am 21. Februar dieses Jahres mit großem Knall aus der Bündnisgrünen-Fraktion ausgestiegen, nun mitten im Sommerloch zur Pressekonferenz lädt, darf der Beobachter erneut Unterhaltsames erwarten.

Frau Matzke hat eine Partei gegründet, „Soziale Politik Sachsen“, abgekürzt SP Sachsen, die auf Listenplatz 9 zur Landtagswahl antritt. Die Gruppierung verfügt derzeit über zwanzig eingeschriebene Mitglieder Elf davon, einschließlich der Schwester von Frau Matzke, bewerben sich um ein Mandat.

Ziel der Vereinigung: „Stimme für eine andere Politik - Schluß mit der CDU-Regierung!“ Wie sich das praktisch zu vollziehen hat, da Frau Matzke nach eigenem Bekunden weder die Regierungsbeteiligung noch das Überspringen der 5-Prozent-Hürde für wahrscheinlich hält, war trotz beharrlichem Nachfragen.der'beideH ' erschiene' iV6rf' Journalisten 1 nicht herauszufinden.

Die Frage, wieso sie nicht das Neue Forum mitträgt,

dessen Programm sie weitgehend geschrieben haben will, oder den linken Flügel der SPD bereichert, der sie die Aufgabe des Machtwechsels zuweist, scheint der Leipziger Ärztin lästig zu sein. Wie bei den Gründungen unzähliger Statt-, Heimat-, Arbeitslosen- und Kleingärtnerparteien spielen politische Nützlichkeitserwägungen auch im Matzke-Zirkel keine Rolle. Selbstverständlich wollen auch Matzke & Co. „Politik im Interesse der Bevölkerung, Frauen und Männer, im Interesse der Arbeitnehmerinnen“ machen.

In feierlicher Hier-steheich-und-kann-nicht-anders-Pose wird es gelobt. Unser Tip an die Leser: Das können Sie auch! Nutzen Sie den nächsten Grillabend auf der Datsche zur Parteigründung im Familien- und Bekanntenkreis. Zum Nachtisch schreiben Sie ein paar Forderungen aus dem Gerechtigkeits-Reservoir des Abendlandes auf und wählen schon mal den günstigsten Termin für eine Pressekonferenz aus. Dort küren Sie die NichtWähler zu Ihrem gigantischen Wählerpotential. Dagegen können die. sich nämlich nicht wehren. Die wählen Sie natürlich nicht, Frau Matzke erreichte als Kandidatin der „Plattform Europa der Arbeitnehmerinnen und Demokratie“ bei der Europawahl im Freistaat 0,1 Prozent der Stimmen (die Frau hat eben einen großen Bekanntenkreis).

Bevor das Projekt Ihnen auf die Nerven fällt, blasen Sie einen privaten Streit zum politischen Grundsatzdrama auf und lösen Ihre Privat-Partei ( mit Hier-stehe-ichund-kann-nicht-ariders-Pose wieder auf. Wie, das'ist Ihnen zu blöd? Ist es auch.

MARCEL BRAUMANN, Dresden