Ohne Patriarchat

Sottosopra von Gabriele Schärer

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.
Ist das Patriarchat zu Ende - oder doch erst am Ende, zum Untergang verdammt, aber noch nicht überwunden? Was die italienische Philosophin Luisa Muraro schon vor Jahren als gegeben sah, steht für andere Aktivistinnen noch durchaus in Frage. Dass der Untergang des Patriarchats nah sei, auch wenn die neue Generation jüngerer Frauen manchmal merkwürdige, weil wenig kämpferische Wege finde, dies zu zeigen, darin allerdings sind sich alle einig, die in Gabriele Schärers erfreulicher Dokumentation zu Wort kommen. Die lustvolle Geschichte der weiblichen Freiheit will »Sottosopra« erzählen, und das gelingt, weil hier Frauen sprechen, die sie gegen alle Widerstände gelebt haben und jeder Bitterkeit widerstanden. Die auszogen, die Männerwelt auf den Kopf zu stellen, das Unterste zu oberst zu kehren und im Drunter und Drüber der neuen Zustände endlich das herzustellen, dessen fundamentale Berechtigung in der Überzeugung der Frauen nie in Frage stand: eine gleichberechtigte Welt, in der jeder, Mann und Frau, das sein kann, was man oder frau eben sein möchte, eine Welt, in der jedes überlieferte patriarchalische Prinzip endgültig zum alten Eisen gehört, in der Kinder und Karriere sich nie wieder ausschließen und es nichts mehr gibt, wovon man sich emanzipieren müsste. Ihren Filmtitel entlehnt Schärer zwei grundlegende Publikationen der Mailänder Frauenbuchhandlung, auf Deutsch als Grünes und Rotes Sottosopra erschienen: »Mehr Frau als Mann« (grüner Einband) und »Das Patriarchat ist zu Ende« (rot). Dass Luisa Muraro, eine der Begründerinnen der Buchhandlung, zu den Autorinnen gehörte, kann man schon den Titeln entnehmen, und auch bei Schärer, die sich, selbst gebürtige Schweizerin, ansonsten weitgehend auf die Schweizer Vorreiterinnen gelebter und geleisteter Emanzipation beschränkt, kommt Muraro ausführlich zu Wort. Im Unterschied zu Teilen der deutschen Frauenbewegung, die jede Frau ihren Mann stehen lassen mochte und typisch Weibliches gerne negierte, hat Muraro die Vielfalt der Interessen und Talente innerhalb beider Welten nie geleugnet, nie die Gleichheit gepredigt, sondern immer die Verschiedenheit beschworen. Einen anderen wichtigen Gedanken des grünen Sottosopra lebten die Schweizer Theologin Marga Bührig und die Frauen ihrer Wohngemeinschaft schon seit den späten Vierzigern, zu einer Zeit, als eine Frau auf der Suche nach einer Sieben-Zimmer-Wohnung für sich und ihre Kommilitoninnen in konservativen Zürcher Kreisen noch durchaus exotisch wirken musste: Dass Frauen Frauen (ver)trauen müssen, solange außen der Kampf gegen die Männerwelt noch nicht gewonnen ist. Über Jahrzehnte gemeinschaftlichen Lebens, Denkens und Reisens führten und führen Bührig und Freundinnen auch anderen modellhaft vor, dass ledige Frauen des bloßen Unverheiratetseins wegen noch lange kein altjüngferlich zurückgezogenes, weltfremdes Dasein fristen müssen. Und wie die Gewerkschafterin Christiane Brunner mit den Rückschlägen ihrer politischen Karriere umgeht, die auf nichts als ihre weiblichen Locken zurückzuführen waren, das ist dann wirklich beeindruckend. Nur auf die flammend rot berockte Rollerfahrerin, die als verbindendes Element zwischen Orten und Gesprächen und als Alter Ego der Regisseurin mal durch Mailand, mal durch Zürich oder Solothurn braust oder sich in befreiende Fluten stürzt, hätte der Film vielleicht verzichten können.
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