Die Erinnerung versinkt in den Tiefen des zugefrorenen Sees

Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling von Kim Ki-Duk

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Immer wenn ein Werk von Kim Ki-Duk auf einem der großen Filmfeste läuft, schärfen nicht nur die Reporter der Skandalblätter vorsorglich ihre Federn. Selten ein Film des koreanischen Starexports, der nicht Sturmböen im Blätterwald verursachte, heftig diskutiert wegen seiner Gewalt, seines Zynismus, seiner frauenfeindlichen Attitüde. Mit »The Isle«, einer mit viel Freude an Provokation und blutigen Details inszenierten sadomasochistischen Liebesgeschichte, gegen die Michael Hanekes preisgekrönte »Pianistin« wie ein Lehrfilm für Vorschulkinder wirkt, sorgte Kim 1999 in Venedig für Schlagzeilen. Mit dem Mix aus Gewalt, Psychoterror und Kitsch der Zuhälter-Ballade »Bad Guy« machte er 2002 im Wettbewerb der Berlinale seinem schlechten menschlichen wie seinem hervorragenden cineastischen Ruf alle Ehre. Diesem Skandal-Image wird »Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling« nur zum Teil gerecht. Um fünf Jahreszeiten geht es, fünf Lebensalter, fünf Variationen der immer gleichen Grundkonstellation: Ein junger Mönch, ein älterer Mönch und wechselnde Einbrüche der Welt in ihr frugales Leben auf der Tempelinsel. Erst sind der Mönch und das Kind, das er sich zum Nachfolger erzieht, zu zweit allein in der Abgeschiedenheit, dann durchbricht eines Sommers viele Jahre später eine junge Frau und Patientin ihre Einsamkeit und den Seelenfrieden des jüngeren Mannes. Der flieht mit der Geheilten in die weite Welt und wird, weil sie weniger absolut liebte als er, des Mordes an ihrem neuen Liebhaber schuldig. Von der weltlichen Gerechtigkeit bis zum Tempel verfolgt, kehrt er Jahre später zurück, um das Erbe des Meisters anzutreten. Dass Kim Religion in ihren Extremformen eher als Geißel menschlichen Miteinanders betrachtet, sieht man diesem Film nicht an. Hier funktioniert die Tempelinsel als spirituelles Refugium vor einer sündigen Welt, als grünblaue Idylle, deren Gesetzmäßigkeiten sich lernen und in aller Naturverbundenheit nutzen lassen, als Oase stiller Kontemplation und moralischer Abgeklärtheit. Erst die Berührung mit der Außenwelt führt zu schuldhafter Verstrickung und notwendiger Buße, zum selbst gewählten Tod des einen der beiden Mönche und zur Inhaftierung des andern. Eher schon ist »Frühling, Sommer...« anzumerken, dass Kim einst selbst Priester werden wollte, verraten die bildschönen Aufnahmen aus der Vogelperspektive, die hier Kims gewohnte Nahsicht ablösen, dass der Self-Made-Man vor seiner Entdeckung des Mediums Film schon Maler war. Rein ästhetisch betrachtet könnte »Frühling, Sommer...« schlichter und schöner kaum sein. Da ist das Tal inmitten bergiger Hügel als einziger Schauplatz, in seiner Senke ein See und darin die schwimmende Plattform mit dem Tempel, dazu ein Boot, das junger und alter Mönch mal gemeinsam, mal abwechselnd nutzen, um ans Ufer zu gelangen, und das selbsttätig zur Insel zurückkehrt, wenn man vorher den angeleinten Hahn hineinsetzt, der mit den Mönchen auf der Tempelinsel lebt - ein schönes Bild für deren tiefe Verwurzelung in ihrer Lebensweise. Sonst nichts außer einem freistehenden Torbogen am Seeufer, der mitten im Nichts die Innen- von der Außenwelt auch physisch unterscheiden hilft. Die unterschwellige Gewalt, die man aus Kims früheren Filmen kennt, findet trotzdem ihren Platz: der Mord, die Selbstverbrennung, die tödlichen Tierquälereien, mit denen der kindliche Mönchsanwärter in der ersten Episode seine übermütigen Frühlingsgefühle austobt. Aber sie treten in den Hintergrund, berühren die auratische Ruhe des Ortes und den unabwendbaren Gang der Jahreszeiten höchstens vorübergehend. Der Mord findet nur in der Beichte des zurück an seine Heimstatt geflohenen Ex-Mönches statt, die Selbsttötung geschieht mit einer archaischen, wortlosen Selbstverständlichkeit, die ihre zerstörerische Brutalität negiert, und die Tierquälerei dient dem Meister zu einer Lektion über die Gleichberechtigung aller Lebewesen - die der junge Mönch zu begreifen scheint und dann doch prompt vergisst, als die erste Frau seines Lebens seine Sinne verwirrt. Nicht zufällig ist Kim als misogyn verschrien, als Frauenhasser, der Sexualität grundsätzlich als Störfaktor inszeniert, als Filmemacher einer Männergesellschaft, in der Frauen nur in der Rolle der Sirene, der Verführerin vorkommen - eine Konstante, die erst »Samaria« aufbricht, der noch neuere Film, mit dem Kim jüngst im Wettbewerb der Berlinale stand. Auch die Form ist rund: Am Ende werden wieder zwei Mönche auf der Tempelinsel leben, ein Meister und sein Schüler, der sein Sohn sein könnte, und die Erinnerung an jedes weibliche Element wird bis auf weiteres in den Tiefen des zugefrorenen Sees versinken. Bis auf weiteres, denn wie die Natur verläuft auch das menschliche Leben in Zyklen, und wer will schon sagen, dass sich...

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