Wie man in Chile mit Schuld umgeht

TV-Tipp: »10 Tage - ein ganzes Leben« von Tanja Hamilton

  • Gitta Düperthal
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Wie man in Chile mit der Frage nach der Schuld umgeht, wollte die Wiesbadener Filmemacherin Tanja Hamilton wissen. Deshalb fuhr sie mit Antonio Coloma, einem ehemaligen Abgeordneten der Kommunistischen Partei im Stadtparlament der chilenischen Kleinstadt Temuco, in dessen einstige Heimat. Nach rund 30 Jahren Exil in Deutschland will er mit ehemaligen Genossinnen und Genossen über die Vergangenheit sprechen. Heimatgefühle wollen bei Coloma nicht aufkommen. Als am 11. September 1973 der Militärputsch gegen Salvador Allende ausbrach, wurde er von den Faschisten zehn Tage lang in Haft genommen und gefoltert. Coloma hat düstere Erinnerungen an jenen Staat, in dem Menschen verschleppt und ermordet wurden. Die Filmemacherin besucht mit dem ehemaligen kommunistischen Stadtrat dessen alte Partei. Sie treffen auf sehr unterschiedliche Arten der Vergangenheitsbewältigung. Einige empfangen den in Deutschland lebenden Exilanten unterkühlt, betonen wie »flüchtig« ihre Erinnerungen an »die alten Zeiten« sind. Andere trauern mit Pathos und roter Fahne Jahr um Jahr an den Gräbern der Opfer der brutalen Militärdiktatur, die 17 Jahre währte. Das alles kommentiert der Film kaum. Er zeigt stattdessen eine Art lärmendes Schweigen. Wenn Männer einfach dicht machen, von Gewesenem nichts mehr wissen wollen. Oder auch eine Art verschwiegener Beredsamkeit. Zwanghaft wird über Belanglosigkeiten geplaudert, obgleich Coloma doch stets nur eines interessiert: Warum eigentlich hat ihn ein ehemaliger Genosse, namens »Landa«, der mit den Faschisten kolaborierte, damals nach Deutschland entkommen lassen. Antonio Coloma geht noch einmal die Orte ab, die seinen damaligen Fluchtweg säumten: Die Räume seines ehemaligen Stadtratsbüros und einen dunklen Keller, in denen er untertauchte. Zu Beginn des Dokumentarfilms sind die letzten Worte Allendes zu hören. Er träume davon, dass es einst wieder eine Gesellschaft geben werde, die in Freiheit lebt. Und er grüßt - im Bewusstsein, dass dies seine letzten Worte sein werden - noch einmal all jene, die verfolgt sein werden. Mit Archivbildern wird der Zuschauer noch einmal in die damalige Zeit versetzt. 90 spannende Minuten lang ist man mit der Dokumentarfilmerin und dem Exilanten unterwegs, um Ende zu erfahren, was zu erahnen war. Colomas vermeintlicher Lebensretter stellt sich als penibler, eiskalter Militärscherge heraus. Heute noch ärgert er sich, den flüchtigen Kommunisten damals versehentlich übersehen zu haben. Reue empfindet er nicht. Und wenn, dann allenfalls über die verpatzte Gelegenheit - darüber, sich als perfekter Militarist blamiert zu haben. Die Wahrheit empfindet er als »sehr relativ«. Die Polarisierung, die gegen ihn »als Uniformträger« betrieben worden sei, als ungerechtfertigt. Der Film ist ein präzises Zeitzeugnis, lässt unbequeme Fragen absichtlich unbeantwortet. Vorschnelle Antworten haben etwas Beruhigen...

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