Der Film zum Kreuzzug

Nach kontrovers diskutiertem Start in den USA ab heute in Deutschland: Mel Gibsons »Die Passion Christi«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.
Meine Unlust, mich zu diesem Film überhaupt zu äußern, ist enorm. Es ist ein Film über die Geisteslage einer Nation, die mobil macht gegen das Böse. Ein Prolog zum modernen Kreuzzug. So peitscht man seine Gefolgschaft ein. Überhaupt versteht sich der Film aufs Peitschen, lange und ausgiebig, bis die Haut in Fetzen hängt und die Rippen durch die Haut stoßen. So abstoßend erschien mir das Christentum lange nicht wie in der Übelkeit erregenden Bilderschau Mel Gibsons. Es ist das christlich-fundamentalistische Pendant zum islamischen Fundamentalismus. Christlich? Mir erschien er wie ein Aufruf zum Glaubenskrieg - gegen die ewig gemeinen und grausamen Mörder Christi. Bevor man jetzt fragt, wer Christus ermordet hat, sollte man fairerweise sagen, dass aller christlicher Erlösungsglaube des Kreuzigungstodes zwingend bedarf. Die Erlösungshoffnung auf eine Wiederkehr des auferstandenen Sohnes Gottes machte das Christentum erst zu so einer starken plebejischen Bewegung; zu jener zukünftigen geschichtlichen Kraft, die Europa prägte. Über die genauen historischen Bedingungen zur Zeit der ersten urchristlichen Gemeinden kann man sich sachlich und gründlich informieren: in der 10-teiligen Arte-Dokumentation »Die Geburt des Christentums« ab dem 3. April. Hier in Mel Gibsons »Die Passion Christi« geht es um den Glaubens-Mythos. Richtig ist, dass Jesus gegen den Glaubensmainstream der Pharisäer stand, mit dem er konkurrierte. Richtig ist auch, dass Jerusalem vor zweitausend Jahren ein - mehr noch als heute - Ort der Gewalt und Grausamkeit war, ja, dass es eine Grausamkeitskultur gab, von der wir uns heute kaum mehr einen Begriff machen. Das Kreuzigen war an der Tagesordnung in dieser Randprovinz des Römischen Reiches. Wer immer heute über Jesus verhandelt, der verhandelt über ein gegenwärtiges Christus-Bild - und damit auch sein Bild vom Menschen. Hier beginnt das Ärgerliche an dieser »Passion Christi«. Der Antisemitismusvorwurf gegen Gibson scheint mir hier nicht einmal das zentrale Problem zu sein. Die Juden haben Jesus ermordet? Über diese Simplizität muss man gar nicht lange reden. Dazu fällt mir ein Pfarrer der »Bekennenden Kirche« ein. Während die nazikonformen »Deutschen Christen« sich laut rühmten, immer schon gegen die Juden gewesen zu sein, erzählte er die Geschichte von einem Prediger, der vor dem Gottesdienst alle Juden auffordert, seine Kirche sofort zu verlassen. Als er diese Aufforderung zum dritten Mal wiederholt, steigt Jesu vom Kreuz und verlässt die Kirche. Das zum Thema Juden und Christen. Das zentrale Problem scheint mir die Frage nach der christlichen Botschaft. Und die ist bei Gibson beunruhigend vulgär. Hass statt Liebe, Kampf statt Versöhnung. Plötzlich weiß man angesichts dieser Bilderorgie, wie nötig immer wieder Bilderverbote sind. Mit geplanten 400 Kopien wird die - von Mel Gibson mit 30 Millionen Dollar privat finanzierte Produktion - nun als werbegesteuertes Kinoereignis über uns hereinbrechen. In den USA hat »The Passion« in wenigen Tagen ein Vielfaches der Produktionskosten eingespielt. Die Amerikaner wollen Folter und Kreuzigung sehen, es erbaut sie, sie halten das für eine Glaubensstärkung - und das finde ich beunruhigend. »Gibson erreicht mit einem einzigen Film, wofür ich ein Leben lang predigen musste«, bekennt der Prediger Billy Graham. Was wir sehen aber ist sentimentaler Kitsch - mit seiner Kehrseite der seelischen Grausamkeit. Eine schwüle Bilderorgie, in der sogar der Teufel als dunkle Gegenmutter zur Mutter Maria auftritt. Welch groteske Banalisierung. Vergleicht man Mel Gibsons Opfertod-Verklärung mit anderen Versuchen, sich filmisch der Gestalt Jesus zu nähern, wird deutlich, wie wenig Geist in diesem Film ist. Ein Geist, der sich (das ist menschlich) im übergroßen Schmerz (Passion!) der Skepsis ausgesetzt sähe. Das nahm sich Martin Scorsese mit »Die letzte Versuchung Christi« zum Thema. Die große Selbstbefragung, der Zweifel an der eigenen Bestimmung. Pier Paolo Pasolini hatte es 1964 in seinem Jesus Film »Das 1. Evangelium - Matthäus« unternommen, nicht nur wie Gibson die letzten Stunden, sondern das Leben Jesu zu verfilmen. Und mit dem Leben die Frage nach seinem Tun, das bei Pasolini als sozialer Auftrag im Sinne einer Befreiungstheologie interpretiert wird. Nichts sehen wir bei Gibson über das Leben Jesus und nicht einmal über seine Lehre. Allein sein Opfertod soll uns alles erklären. Und der Papst, der den Film bereits gesehen hat, bestätigte, dass alles so gewesen sei, wie es der Film zeige. Gab es bei Scorsese und Pasolini heftige Kritik der Glaubensorthodoxie, bis hin zu Drohungen und einem Bombenanschlag in Paris, ist mit Gibson nun wohl jene Fraktion hoch zufrieden, die Jesus als Widersacher des Teufels versteht und daraus ihre Dämonologien entwickelt, die dann geradewegs zu den verstiegensten Machtfantasien führen. Wer aber ist Jesus? Einer, der Göttliches offenbart, durch die Art, wie er sein Kreuz trägt. Ein missachteter und letztlich vom Glaubens-Mainstream ermordeter Außenseiter, ein Bekenner der geistigen Dimension von menschlichem Leben. Bei Gibson wird er wie ein unter Sadisten gefallener Popstar oder Kriegsheld in monoton-wollüstiger Gewaltszenerie massakriert. War so eine heldisch ertragene Folterung die Passion Christi, wie Gibson suggeriert? Oder war es nicht vielmehr das Sich-nicht-gemein-Machen mit römischer Staatsräson, pharisäerhafter Orthodoxie und pöbelhafter Pogromstimmung als kommunizierende Röhren der Vernichtung? Wie Nietzsche sagt, er mache sich aus einem Menschen nur so viel, wie er ein Beispiel zu geben vermag. Wir sehen den Opfertod, das geradezu genüsslich dargebotene Sterben Jesu, vom Verrat durch Judas bis zum schweren Tod am Kreuz. Die augenfällige Botschaft: Lernt für den Glauben sterben! Sollen wir lauter Glaubensmärtyrer werden? Diese Todesverherrlichung scheint mir eine infantile Vergröberung der Glaubensbotschaft, die doch heißt: Lernt leben! Und hierfür leistet ein Film wie »Das Leben des Brian« (1979) von der britischen Komikertruppe Monty Python ironisch ins Werk gesetzt, weit mehr. Er zeigt uns die vielen Propheten in Jerusalem zu Jesus Zeit, die müde römische Dekadenz und den großen Zufall von Jesus historischer Sendung wider dessen Willen. Das »Leben des Brian« ist das rettende Gegengift zu »Die Passion Christi«, bei dem man auf den Gedanken verfallen könnte, das Christentum sei von seiner Idee her eine sado-masochistische Veranstaltung. Statt sich von dieser »Passion Christi« abstumpfen zu lassen, schlage ich vor, bei einem evangelischen und einem katholischen Theologen nachzulesen, was der Geist Christi meint. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der als Mitglied der Bekennenden Kirche am 9. April 1945 hingerichtet wurde, bringt in seinen Briefen aus dem Gefängnis das Problem auf die Höhe der Zeit. Die moderne Welt sei »erwachsen« geworden, sie brauche Gottes Vormundschaft nicht mehr. Also sei die zeitgenössische »Areligiosität« ein Zeichen der Reife, der Mensch sei endgültig den Jünglingsjahren entwachsen. Darum sollten auch die Christen heute so leben, »als sei Gott nicht gegeben«. Säkularisierung des Lebens dürfe sich nicht gegen das Christentum vollziehen, sondern in seinem Namen. Was ist dann noch Religiosität? Nach Bonhoeffer ein Paradox: »Am Leiden Gottes teilzuhaben in einer Welt ohne Gott.« Somit sei, wie der Religionswissenschaftler Mircea Eliade in »Das Heilige und das Profane« schreibt, das religiöse Leben des modernen Menschen etwas »Unbewusstes«. Nur das Unterbewusstsein sei noch religiös geblieben. (Was eigentlich passiert im Unterbewusstsein Mel Gibsons?) Und als katholische Stimme sei der Jesuitenpater Alfred Delp erwähnt, der als Mitglied des »Kreisauer Kreises« am 2.2.1945 hingerichtet wurde. Seine nachdenklich-sachlichen Sätze wischen den pathetisch aufgeblasenen und ganz und gar unerträglichen Glaubensfanatismus eines Mel Gibson mit schlichter Geste vom Tisch. Delp schreibt in »Der Mensch vor sich selbst« (postum 1953): »Der Mensch ist auf sein Gewissen gestellt... Menschen, die zu einer echten Fertigkeit und Tüchtigkeit des Gewissens gelangt sind, tragen ihre eigene Art, fällen ihr eigenes Urteil, sind unbequem für jedes Schema, lästig für jede, auch die fromme Vermassung und Entmündigung, aber sie sind bei sich, decken den Wechsel ihres Lebens mit ihrer eigenen Unterschrift und sind de...

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