Gefangen in der »braunen Falle«?

Dieser Tage wird in Schwerin eine Ausstellung über den Rechtsextremismus gezeigt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sie konzipiert - und bedient vor allem bekannte Klischees

  • Stefan Mentschel, Schwerin
  • Lesedauer: 4 Min.
Angela hat genug gesehen. »Diese Ausstellung ist doch ein Scherz«, schnaubt die angehende Masseurin. Die Exponate wirkten oberflächlich und plakativ. Kaum ein Aspekt werde näher erläutert. Von den gesellschaftlichen Hintergründen und Ursachen des Rechtsextremismus ganz zu schweigen. Den Ärger der 25-Jährigen hat »Die Braune Falle - eine rechtsextremistische Karriere« hervorgerufen. Dieser Tage wird die vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) konzipierte Schau, mit der vor allem Schüler und Auszubildende angesprochen werden sollen, im Foyer des Schweriner Innenministeriums gezeigt. Und da die Leitung des Bildungszentrums für Gesundheits- und Sozialberufe in Bergen auf Rügen die Auseinandersetzung mit dem Thema prinzipiell für »eine gute Sache« gehalten habe, durften sich Angela und ihre Kollegen am Dienstag auf den Weg in die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns machen. »Aufklärung und Prävention stehen für uns im Mittelpunkt«, sagt der Verfassungsschützer, der täglich bis zu acht Besuchergruppen betreut, den eigenen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte. Sein Vorgesetzter, BfV-Präsident Heinz Fromm, hat damit keine Probleme. Bei der Ausstellungseröffnung hatte er eindringlich vor einer Verharmlosung des Rechtsextremismus gewarnt. So gebe die weiterhin hohe Zahl von Gewalttaten Anlass zu großer Sorge. Nach einer Bilanz des Bundeskriminalamtes seien 2002 insgesamt 772 rechte Gewalttaten registriert worden, 63 mehr als im Jahr zuvor. Auch für das vergangene Jahr zeichne sich nach bislang vorliegenden Erkenntnissen keine Trendwende ab. Allein in Mecklenburg-Vorpommern gebe es über 1000 gewaltbereite Rechtsextremisten. Grund genug also, sich ernsthaft mit der Problematik auseinander zu setzen. Allerdings wirft die vom Verfassungsschutz gewählte Methode viele Fragen auf. In der Ausstellung wird der Lebensweg eines Jugendlichen skizziert, der in die Fänge der rechtsextremistischen und gewaltorientierten Szene gerät. Nachdem er selbst zum Anstifter und Täter geworden ist, erkennt er seinen Irrweg und steigt wieder aus. So einfach, so einleuchtend? In einer Phase des Protests und der Orientierungslosigkeit seien Jugendliche besonders anfällig für die rechtsextremistische Szene, heißt es. »Berufswahl, Zukunftsplanung und vor allem die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit - all das ist schon schwierig genug.« Kämen dann noch private Probleme hinzu, seien viele Jugendliche mit der Situation überfordert. Die oft hilflose Suche nach »dem eigenen Weg« nutzten dann die rechten Organisationen, um den jungen Menschen »Halt und Geborgenheit« zu geben, meint der Verfassungsschutz. Das geschehe durch »Sonnenwendfeiern«, »Saufgelage« und die Besuche von Nazi-Konzerten. Einmal in die Szene integriert, begännen die rechten Kader, die »bei vielen Jugendlichen verbreiteten Vorbehalte gegen Ausländer und Fremdenangst« aufzugreifen, um sie mit »Hetzparolen zu Ausländerfeindlichkeit zu steigern«. Es sind diese Vereinfachungen, die Angela wütend machen. Warum wird kein Wort über das rechte Gedankengut »38-jähriger Anwälte oder 60-jähriger Vorruheständler« verloren, fragt die junge Frau. Auch der 20-jährige Norbert, der ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert und bei der Schweriner AG Junge GenossInnen aktiv ist, äußert Bedenken. Ihm fehlt die gesamtgesellschaftliche Perspektive. Waren es nicht Politiker der etablierten Parteien, die in den Neunzigerjahren von »90 Prozent Scheinasylanten« sprachen? Die Ausstellung beantwortet solche Fragen nicht. Stattdessen setzt sie auf Klischees: Rechtsextremistische Skinheads fielen allein schon durch ihre Erscheinung auf - rasierter Schädel, Springerstiefel, Bomberjacke. Kein Wort darüber, dass sich die Szene wandelt. So veranstalten rechte Kameradschaften in Mecklenburg inzwischen Familienfeste und Volleyballturniere, wobei die Gäste in den Einladungen um »gepflegtes Äußeres« gebeten werden. Kein Wort über die Strategie der »kulturellen Subversion«, mit der Rechtsextreme nicht nur Trommel schlagend und marschierend, sondern auch still und leise Einfluss auf Gesellschaft und Kultur gewinnen wollen. Kindergeburtstag statt Saufgelage - der Verfassungsschutz scheint, betrachtet man die Schau, davon noch nichts mitbekommen zu haben. »Die Leute wachsen schlicht raus«, meint der namensverweigernde Verfassungsschützer zur Lösung des Problems. Das sei eine Frage des Alters. Ein Beweis sei das Aussteigerprogramm, das der Verfassungsschutz im April 2001 gestartet hat. Allerdings richtet sich diese wichtige Initiative vor allem an Rechtsextreme, die tief in der Szene verwurzelt sind. Ein Programm, um den Einstieg zu verhindern, gibt es nicht. »Die Ausstellung bildet lediglich ab, wie es ist«, findet Norbert, »nicht, was dagegen getan werden kann.« Dabei gibt es Strategien. Der Berliner Politologe Hajo Funke hatte schon vor drei Jahren darauf hingewiesen, dass der damals von Bundeskanzler Gerhard Schröder geforderte »Aufstand der Anständigen« an den rechten Jugendlichen vorbei gehe. Die direkte Arbeit mit ihnen und zwar in Form einer »Doppelstrategie aus Konfrontation und Teilhabe« könne wirksam sein. Mit fast jedem - außer den ideologisch gefestigten Kadern - könne man konfrontativ reden, um ihnen klar zu machen, »was sie da tun und denken«. Trotz oder gerade wegen ihrer methodischen Mängel bietet die Ausstellung Erhellendes. Zeigt sie doch, dass die Komplexität des Problems von den Sicherheitsorganen noch immer verkannt wird. Für Leute, die die Szene nicht kennen, könne die Schau ein Einstieg sein, um sich selbst tiefgründiger zu informieren, findet Norbert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Ausstellung ist noch bis 26. März im Foyer des Schweriner Innenministeriums, Karl-Marx-Straße 1, zu sehen. Infos und Anmeldung unter Tel.: 0385/74200
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