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Boris Jelzin Fernsehstar

  • Peter Hof
  • Lesedauer: 2 Min.

Abend ein Dämmerschöppchen in der ehemaligen sowjetischen Botschaft gleich um die Ecke nahm. Oder aber der Kanzler hat sich gesagt: Wenn ich mir schon meinen Präsidenten selbst ausgesucht habe, dann entscheide ich auch, wann er was zu tun hat.

Und so setzte sich Kohl an die Spitze der deutschen Staatsrepräsentation und begleitete seinen Freund Boris den ganzen Tag. Und die Kameras der ARD immer live mit dabei. Die Reporter machten ihrem Stand alle Ehre, sie moderierten, also: mäßigten die Berichterstattung; keine

schwere Herausforderung,

denn der Massenzulauf war wie bei den letzten Maidemonstrationen in der DDR geregelt: die Zuverlässigen bekamen Eintrittskarten, die Andersdenkenden blieben draußen.

Am Nachmittag Kranzablage am Ehrenmal im Tiergarten und in Schinkels Neuer Wache. Der Kanzler führte Regie. Diesmal hatte die Sicherheit wohl nicht genau genug hingeschaut. Ein russischsprachiges Transparent verkündete unübersehbar „Deutsche Täter sind keine Opfer“ - Jürgen Engert, unbefangen, weil des Russischen nicht mächtig, schwatzte darüber hinweg,

und seine Kameraleute hatten Routine darin, wie man dieses Ehrenmal edel und neutral abbildet.

Die Berichterstatter ließen offen, was es zum Mittagessen bei Bundespräsidentens zu trinken gegeben hatte. Jelzin jedenfalls schien einen kräftigen Schluck genommen zu haben. Er war in bester Stimmung, dirigierte das Polizeiorchester, unterschrieb im Goldenen Buch, bevor er noch dazu aufgefordert war, brüllte eine Rede und sang dann noch das schöne Lied „Kaiinka“, das, wie Jörg Hafkemeyer sachkundig verlautbarte, in der Sowjetunion verboten war.

Nun, ich habe von diesem verbotenen Song eine sehr schöne Schallplatte der Marke „Melodija“ (Samizdat?), bespielt und besungen von einer Underground-Gruppe namens Alexandrow-Ensemble...

Der Tag ging - der Wodka kam. Am Abend beim Empfang in der ehemaligen sowjetischen Botschaft. Wieder verspätete sich der Bundespräsident. Und während man noch wartete, wurde bereits das Buffett geplündert. Noch zwei Reden der beiden Großen, das Orchester in den neuen zaristischen Uniformen intonierte die „Kleine Nachtmusik“ - und eine zehnstündige Werbesendung für den Kanzler ging zu Ende, die seine Partei keinen Pfennig kostete.

PETER HOFF

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