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Aber ein Buch wird wohl nicht daraus?

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Nein, es war ja auch bloß eine kleine Episode verglichen mit dem, was manche meiner Kollegen erfahren haben und welchen Dingen sie ausgesetzt waren. Die kann ich schon verstehen, wenn sie das literarisch abarbeiten.

Leider arbeiten heute auch viele ab, die weder betroffen waren, noch je selber in Versuchung kamen, zum Beispiel Leute aus dem Westen. Haben Sie dafür auch Verständnis?

Ich kann verstehen, daß die Kollegen im Westen Fragen an uns haben, und wir sollten auch zurückfragen dürfen, wie es denn um ihr eigenes Engagement bestellt gewesen ist. Nichts also gegen kritische Auseinandersetzung, es

kommt nur darauf an, wie sie geführt wird. Ich erinnere mich an ein Schriftstellertreffen in Kiel 1990, da wurden wir von den westdeutschen Kollegen scharf attackiert. Ich wohnte in einem Hotel in der Hindenburg-Allee, was mich zu der Bemerkung veranlaßte: Wenn

ich euch richtig verstanden habe, werft ihr uns vor, daß wir es nicht geschafft haben, das Politbüro zu stürzen. Aber hier ist es nicht einmal möglich gewesen, den Mann, der Hitler zum Reichskanzler machte, vom Straßenschild runterzuholen!

War Fallada, dessen Biografie Sie so vorzüglich nacherzählt haben, für Sie auch einer jener Aussteiger- oder gar Selbsthelfertypen?

Nein, Fallada war ja doch ein Mensch, der sich eher angepaßt hat an die Verhältnisse. Bis 1937, als er „Wolf unter Wölfen“ schrieb, hat er sich verweigert. Danach ist das Schreckliche passiert, daß er im eigentlich existentiellen Bereich des Schriftstellers, der Literatur, die Anpassung vollzog und auch manchmal schlimme Sachen schrieb, die das NS-System bedient haben. Ich habe als Lektor, Kritiker, Essayist eine Menge Umgang mit Schreibenden gehabt, und die Figur des Fallada hat unter anderem die Möglichkeit geboten, meine Erfahrungen in eine geschlossene Biografie einzubringen. Er war ein Underdog, ein nach unten Gestoßener, und die Kompliziertheit eines solchen Lebens ist ja zu DDR-Zeiten sehr oft von oben herab beurteilt worden. So, als ob jeder als strahlender Sieger durchs Leben gehen müßte. Gerade in einer Zeit, wo wieder eine Unmenge von Biografien beschädigt worden ist. Diese Vorstellung, alles müsse gelingen, war durch eine solche Figur zu konterkarieren, zu kritisieren.

Wie sind Sie eigentlich als Autor vom Biografischen zum Fiktiven gekommen?

Ich hatte 1989 vorgehabt, zwei kleine- Geschichten zu

schreiben, um endlich mal einen Band zusammenzukriegen mit Prosatexten, die im Lauf der Jahre entstanden waren: Porträtgeschichten wie „Oktoberkind“ Aber plötzlich begann sich der Ansatz zu verselbständigen, und so ist der kleine Roman „Eine schöne Liebe“ draus geworden.

Der zur unrechten Zeit kam?

Wie leider auch die „Tötung“ Die erschien im September '89, fand gute Kritiken, doch wie danach das Leseinteresse war, können Sie sich denken. Die „Liebe“ war Ende '89 fertig, es gab einen westdeutschen Verlag, der sich sehr um das Manuskript bemüht hatte, denn ich war so interessant, wie Autoren aus dieser Gegend zu jener Zeit interessant waren - und im Lauf der Wendezeiten uninteressant wurden. Da hatte ich dann Mühe, daß der Roman noch '91 erschien, wenngleich in einer jämmerlichen Aufmachung. Sowas ermuntert nicht gerade zu neuen größeren literarischen Unternehmungen.

Zunächst waren Sie ja auch von anderem in Anspruch genommen. Der Vorstand des Schriftstellerverbands wählte Sie zum Chefredakteur der Literaturzeitschrift NDL. Ein Amt, von dem Sie sich aber nach zwei Jahren wieder verabschiedeten.

Das ist vornehm ausgedrückt. Ich würde sagen, ich bin vom neuen Eigner des Aufbau-Verlages hinausgedrängt worden. Man erwartete von mir, daß ich den Mund halte. Ich hielt ihn nicht.

Dann brauch ich mich auch nicht an die Etikette zu halten und darf mal indiskret fragen, weshalb Sie denn hinauskomplimentiert wurden.

Ich will das nicht noch mal aufwärmen, nur so viel: Die NDL war nach der Ablösung von Elmar Faber als Verlagschef in Gefahr, eingestellt zu werden. Ein neuer Leitungsstil hatte Einzug gehalten, wie er

wohl im Westen normal ist, ich konnte mich nicht mit ihm anfreunden. Ich bestand auf meinem Recht, mitzudenken, zu widersprechen, Gegenvorschläge zu machen, das hatte ich mir auch zu DDR-Zeiten nicht nehmen lassen. Nun mußte ich's. Ich habe einen Schriftstellerkollegen als Gartennachbarn, der sich schon immer besser anpassen konnte als ich, der kommentierte die Sache: „Ich hab es doch immer gesagt, Werner: Warum bist du so trotzig?“

Das Gute an der schlimmen Sache ist immerhin, daß Sie nun vielleicht doch die Zeit haben für ein neues literarisches Projekt. Gibt's vielleicht schon eines?

Ich habe was neues angefangen. Nach den episodischen Dingen packt mich die Lust, mal eine Geschichte zu machen, die wunderbar hintereinanderweg erzählt ist. Mir kam da was in den Sinn, das 1945 unter Kindern spielt, und so begann ich zu probieren. Doch nun fängt es wieder an, sich so episodisch zu bauen...

Hat man jetzt auch im Hinterkopf, was auf dem Markt geht und was nicht?

Nein, ich gehöre nicht Autoren

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