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  • Kultur
  • Im Gespräch mit WERNER LIERSCH, dem Autor unserer morgigen „Sonntagsgeschichte“

Es kann doch nicht jeder ein strahlender Sieger sein

  • Lesedauer: 3 Min.

Gerechterweise muß wohl gesagt werden, daß für den Schriftsteller mit der „Wende“ manches entfiel, was ihm vordem die Feder blockierte: Er darf nun jammern frisch von der Leber weg, und kein Zensor darf es wagen, die vielgerühmte Demokratie mit seiner Tinte zu bekleckern.

Das kann man doch nicht Jammern nennen. Das Material des Schriftstellers ist Erfahrung, und wenn ich von meinen Erfahrungen rede, dann ist es jedem selber überlassen, sie zu bewerten. Wenn sie ihm als Klage oder Anklage vorkommen, ist es seine Sache, meine ist's, mit meinem Material umzugehen.

Wie damit umgegangen wurde zu DDR-Zeiten, damit befassen sich mittlerweile Konferenzen, Enquete-Kommissionen und Doktoranden. Zumeist läuft's darauf hinaus, daß die DDR-Autoren alleweil untertänigst Selbstzensur geübt haben sollen. Also raus mit der Sprache, eh Ihnen einer dahinter kommt: Wie sind Sie verfahren mit Ihrer Erfahrung?

Ich habe nicht das Gefühl gehabt, mich meiner Themen zu enthalten, sondern versucht, das zu schreiben, was mir möglich war und notwendig schien. Zumindest als Erzähler oder als Feuilletonist. Ich muß aber hinzufügen, daß im Bereich der Literaturkritik und des Essay bestimmte Themen tabuisiert waren und kein Gespräch möglich gewesen ist. So habe ich Wege gesucht in die historische Analogie, zum Beispiel 1989 in der NDL mit dem Essay „Die Censur in Weimar“, der das Anhalten der demokratischen Entwicklung in Deutschland durch die Restau-

ration zum Gegenstand hatte und notwendigerweise voller Parallelen zur Gegenwart war Es kam der Satz von Metternich drin vor „Man reformiert nicht bei aufgeregten Leidenschaften“ Aber das war alte historische Erfahrung der Mächtigen, die sie in allen Gesellschaftssystemen nutzen, um ihre Macht zu behalten. Nachdem der österreichische Oberzensor 1848 in Wien vom Balkon aus verkündet hatte, „Die Zensur ist aufgehoben!“, verschwand er wieder in seiner Amtsstube, um sein segensreiches Wirken fortzusetzen, und ich kommentierte das am Schluß des Essays mit einer Anspielung auf ein vielzitiertes Honecker-Wort: Dies sei ein klassisches Beispiel gewesen für die Einheit von Kontinuität und Reform.

Wurde aus diesem Essay der Roman „Eine Tötung im Angesicht des Herrn Goethe“?

Nein, das Buch entstand vorher, und zwar aus Interesse für jenen Typ Mensch, der sich von den Verhältnissen löst, nicht mittrottet, demokratisch denkt, politisch handelt, kurz: Zivilcourage besitzt. Es gibt in Deutschland prägnante Figuren dafür - Kohlhaas, Stauffenberg, nicht zuletzt auch den Studenten Sand, der 1819 hoffte, der erstarrenden Gesellschaft wieder einen Anstoß zu geben, indem er den Dramatiker Kotzebue ermordete. Der galt als russischer Spion und war auch wirklich einer. Ich hab dazu eine Menge historisches Material gelesen, Polizeiakten studiert und alles wieder beiseite gepackt, weil es keine Illustration von Geschichte werden sollte. Aber das Material ist dann noch einmal aufgearbeitet worden zu dem Essay

Apropos Aktenstudium: Haben Sie zu diesem Zwecke auch schon im Hause Gauck vorgesprochen?

Natürlich, und dabei eine böse Überraschung erlebt. Es hat mich einer, wohl weil er mich als schreibenden Konkurrenten in Sachen Fallada betrachtete, unter Ausnutzung seiner Funktion beim MfS böse angeschwärzt. Ich gehöre nicht zu denen, die nun damit ihre eigene Bedeutung aufwerten wollen, nur- Wenn jemand die Schweinerei dann, rasch gewendet, fortsetzt, muß man sich zur Wehr setzen.

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