nd-aktuell.de / 02.09.1994 / Wissen / Seite 14

Weg mit den Ost-Doktoren. ..

Wie man die Promotionspraxis in der DDR heute dargestellt haben will Von URSULA und DETLEF JOSEPH

Juli 1994 kann man entnehmen, daß eine seit den 70er Jahren arbeitende Bochumer Forschungsgruppe unter Leitung des Soziologen Dieter Voigt, die Tausende DDR-Dissertationen gelesen habe, zu dem Ergebnis gekommen sei, daß mehr als drei Viertel der Arbeiten auf gesellschaftswissenschaftlichem Gebiet „selbst bei sehr großzügiger Bewertung ... nicht dem wissenschaftlichen Mindeststandard“ entsprächen.

Da paßt die Publikation hinein, welche die Politikwissenschaftler Wilhelm Bleek und Lothar Mertens unter dem Titel „DDR-Dissertationen. Promotionspraxis und Geheimhaltung von Doktorarbeiten im SED-Staat“ (Opladen 1994) veröffentlichten. In deren Schlußkapitel ist zu lesen, man habe bei den B-Dissertationen der DDR-Wissenschaftler „in inhaltlicher Hinsicht keine generelle Gleichwertigkeit mit den Habilitationsschriften nach bundesdeutschem Hochschulrecht“ festgestellt (S. 236). Soweit wie Voigt, der meint, es liege „nicht zuletzt auch im Interesse“ der „ernsthaften DDR-Wissenschaftler, ... daß im Hinblick auf die höchst fragwürdigen Dissertationen gegebenenfalls auch eine Aberkennung der Doktorwürde erwogen wird“, gehen Bleek/Mertens (noch) nicht. Aber was sie mit ihrem Buch liefern, ist in dieser Hinsicht durchaus „entwicklungsfähig“.

Die Autoren gehen das Thema zunächst korrekt an. Tatsächlich war die Geheimhaltungspraxis der DDR auch auf dem Gebiet der Dissertation der allgemein hypertrophierten Geheimhaltungsdoktrin unterworfen. Bleek/Mertens sind bereit zu akzeptieren, daß Geheimhaltung in allen Staaten stattfindet, doch gehen sie dann zu der „Beweisführung“

über, in der DDR sei jegliche Maßnahme des Geheimnisschutzes „von paranoiden Ängsten vor Feinden im In- und Ausland geprägt“ gewesen (S. 86). Dabei dürfte eigentlich klar sein: Die Verstaatlichung der Wirtschaft und der Forschung in der DDR hatte logischerweise zur Folge, die staatliche organisierte Geheimhaltung auch auf diese Bereiche auszudehnen, während kapitalistische Konzerne die Geheimhaltung von Forschungsergebnissen größtenteils selbst organisieren und nicht weniger intensiver betreiben. Es sei nur an den Fall Lopez erinnert. Forschungsgeheimnisse werden nun mal nicht in Dissertationen öffentlich gemacht.

Auch sollte man fragen, warum für die Geheimdienstler der BRD nach dem Fortfall des Feindes DDR nunmehr die Forschung zu einer Schwerpunktaufgabe wird. Und im übrigen ist kaum abzustreiten: Forschungsspionage gegen die DDR hat es gegeben. Heute läßt sich leicht die „Absurdität“ des DDR-Geheimnisschutzes „beweisen“, wenn man auf die Geheimhaltung einer Dissertation hinweist, die sich mit Schnittkäse befaßte, oder wenn man Themen auflistet, deren Formulierung für sich genommen überhaupt nicht erkennen läßt, ob Brisantes dahinter steckte.

Die Kapitel über die Geheimhaltung von Dissertationen sind das eine, die Attacke gegen die Promotionstätigkeit* in der DDR ist das andere. Die Autoren bemühen sich auch auf diesem Gebiet, das ja im Wissenschaftsbetrieb eines Landes eine wichtige Rolle spielt, die DDR zu diskreditieren. Bemerkenswert ist dabei die Oberflächlichkeit im Um-

gang mit historischen Tatsachen. Ein Beispiel dafür bietet die Art und Weise der Behandlung eines von Steinmetz begründeten „Referentenentwurfs über die Verleihung akademischer Grade“ aus dem Jahre 1954. Wegen der Einsprüche west- und ostdeutscher Wissenschaftler, so schreiben die Autoren, sei es 1956 gelungen, „die im Referentenentwurf vorgesehene .Staatliche Kommission für wissenschaftliche Grade' als oberste Revisionsbehörde in Promotions- und Habilitationsangelegenheiten“ zu Fall zu bringen (S. 31). Mit der Bildung des Rates für akademische Grade beim Minister für Hoch-und Fachschulwesen (RAG) 1968 sei dann der Vorschlag realisiert worden, der 1956 „am Protest der Hochschulöffentlichkeit gescheitert war“ (S. 35). Nun habe man das Promotionswesen zentralisiert.