nd-aktuell.de / 17.09.1994 / Brandenburg / Seite 18

Radio Multikulti geht am Montag auf Sendung

SFB startet dreijährigen Modellversuch in 18 Sprachen für ausländische Berliner und „Weltbürger

Stjepan Adrian Kostre schwitzt. Seit dreizehn Jahren ist der junge Kroate schon beim Rundfunk. „Doch heute komme ich mir vor wie ein Anfänger.“ Stjepan moderiert erstmals in deutscher Sprache. „ Babba-Dabba-Dabba-Dadopp“ - nach dem Jingle gibt's einen Kommentar zu den Landtagswahlen in Sachsen, später einen Bericht von der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo, zwischendurch geht es weiter mit Reggae, Sinti-Swing, lateinamerikanischen und asiatischen Klängen: Testlauf für ein neues Rundfunkprogramm beim Sender Freies Berlin, letzte Proben für „Radio MultiKulti“.

Starten wird Europas erste öffentlich-rechtliche Welle für ausländische und deutschsprachige Hörer am kommenden Montag. 24 Stunden multikulturelles Radio auf UKW 106,8 MHz, das ins Leben gerufen wurde, um den über 400 000 in Berlin lebenden

Ausländerinnen und Ausländern Besseres anzubieten, als die inzwischen nicht mehr zeitgemäßen und oft auf unbedeutende Sendeplätze verdrängten „Gastarbeiterprogramme“ Integratives Radio soll gemacht werden, weil, so Hörfunkchef Jens Wendland, immerhin zehn Prozent der Rundfunkgebührenzahler der Stadt Migranten sind und es ein Medium braucht, das der Vielfalt der an der Spree vertretenen Kulturen Rechnung trägt.

Daß sich ausgerechnet der finanziell notorisch Mangel leidende SFB und dessen eher konservativer Intendant Günther von Lojewski für ein multikulturelles Programm stark machten, hatte in Berlins Politik- und Medienlandschaft manchen verblüfft. Immerhin war bereits vor Jahresfrist das Konzept für eine Multi-Kulti-Welle, das die Bündnis-Grünen beim Sender eingebracht hatten, abgelehnt worden. Erst die

Ereignisse von Solingen waren es, die der Notwendigkeit eines solchen Projekts letztlich auf tragische Weise Nachdruck verliehen. Der SFB sagte Ja zu einem dreijährigen Modellversuch.

Für die ersten 18 Monate Versuchsphase stellte nach Aussagen des Chefs des neuen Programms, Dr. Friedrich Voß, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg eine Frequenz und zwei Millionen DM zur Verfügung. Mit kleineren Zuschüssen des Bundesarbeitsministeriums und SFB-eigenen Mitteln kann Radio MultiKulti nun aus einem Fünfeinhalb-Millionen-Mark-Topf schöpfen. „Das ist total wenig“, meint Redakteurin Susanne Kraske, was aber gar nicht so übel sei angesichts gewisser verfetteter Strukturen bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die nicht gerade optimalen Arbeitsbedingungen in den Studiocontainern auf dem Gelände des Hauses der Kulturen der Welt scheinen niemanden zu

stören. „Wir haben unheimlich viele Ideen, sind gespannt, was sich davon umsetzen läßt und was nicht. Die Frische, die Unverbrauchtheit der Leute hier, macht das Programm so lebendig.“ Ein Hauch Unprofessionalität bringe zudem nicht nur unverwechselbare O-Töne, sondern auch ganz neue Sichten in Kommentaren und Beiträgen von ausländischen Mitarbeitern auf den Sender. Moderiert wird in deutscher Sprache von Stjepan, von Sergio de Fusco, einem Italiener, und dem französischen Journalisten Pascal Thibaut. Letzterer wird am Montag mit dem Morgenmagazin „Früh-Stück“ den ersten „normalen Arbeitstag“ einläuten.

Jürgen Wiebicke, Wortredakteur bei MultiKulti, bedauert, daß sich im Vorfeld schon wieder Miesmacher geäußert hätten, die ihnen vorwarfen, nicht einmal zu wissen, was z. B. türkische Kids gerne hören würden. „Unser Hörerkreis

wird sehr breit sein. Vom vielgereisten aufgeschlossenen Weltbürger in Deutschland, über die zweite Generation der sogenannten Gastarbeiter bis hin zu Menschen, die kaum die deutsche Sprache sprechen. Für die erstgenannten Gruppen wollen wir zwischen 6 und 16 Uhr ein tagesbegleitendes Programm liefern. Ab 16 Uhr gehen wir von gezieltem Einschalten fremdsprachiger Sendungen aus.“ Radio in 18 Sprachen.

Musikalisch würde man wohl keine Welle für türkische Hip-Hop-Jugendliche sein, aber „für europäische Ohren taugliche Musik“ aus allen Erdteilen senden. „Nachts zwischen 23 und sechs Uhr liefern wir dann mit dem Weltmusik-Special ein Programm für die Freaks, bei dem wir auf Sendungen von 20 europäischen Rundfunkanstalten zurückgreifen können.“

KATHI SEEFELD