nd-aktuell.de / 06.12.1994 / Politik / Seite 3

Heißluftballon Europapolitik

Europaabgeordneter WILFRIED TELKÄMPER, Bündnis 90/Grüne: Die Gegen-Demonstration soll friedlich verlaufen

Herr Telkämper, am Freitag und Samstag tagt in Essen der offizielle Gipfel der Europäischen Union. Bündnis 90/Grüne, PDS und verschiedene Bürgerbewegungen veranstalten parallel einen Gegengipfel. Für Sonnabend ist dazu in Essen eine bundesweite Demonstration

angemeldet. Gibt es - wie so oft - auch diesmal den Versuch, die Demo zu kriminalisieren?

In einem Teil der regionalen Presse wird behauptet, die Demonstration werde gewalttätig sein. Wir von der Demonstrationsleitung haben festgelegt, daß diese Demonstration friedlich verlaufen muß. Deshalb wollen wir zu Beginn der Demonstration im engen Kontakt zur Polizei bleiben. Ziel ist es, durch die öffentliche Demonstration und die begleitenden Seminare die bisherige Politik der Europäischen Union zu kritisieren.

Was kritisieren Sie denn an dieser Union?

Die Europa-Politik war in der Bundesrepublik bisher nur ein Heißluftballon. Wir wollen die europäische Integration demokratisieren. Selbst Bundestagspräsidentin Süssmuth hat gesagt, daß es undemokratische Zustände gibt. Die Versprechen, daß Ratssitzungen der Europäischen Union öffentlich sein sollen, wurden nicht eingehalten. Wir befürchten, daß nun ein Sozialdumping durchgesetzt wird und die Ökologie auf der Strekke bleibt.

CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble stellt sich sogar ein Kerneuropa vor. Das hieße, eine militärische Macht unter Führung Deutschlands und Frankreichs. Da besteht die Gefahr, daß mit den sogenannten Eurokorps eine Eingreiftruppe geschaffen wird, um den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. In solcher Strategie fehlen die Menschenrechte oder die ökologische Entwicklung.

Gemeinsame Aktionen von Bündnis 90/Grüne und PDS sind nicht neu, trotzdem umstritten. Wie steht denn die SPD zu solchen Verbindungen?

An Veranstaltungen vor diesem Gipfel haben auch Europa-Abgeordnete der SPD oder SPD-Mitglieder aus der Region Essen teilgenommen. An dem Bündnis selbst beteiligt sich die SPD nicht. Es wäre natürlich zu hoffen, daß auch die SPD bei solchen gesellschaftlichen Aktionen dabei ist. Ich fürchte aber, ein Großteil der SPD wird in Koalition mit CDU/CSU eine Politik des bürokratischen Zentralismus in Brüssel und eine Großmachtpolitik mitbetreiben.

Fragen: WOLFGANG HEX