nd-aktuell.de / 06.12.1994 / Politik / Seite 5

Seites Politik am Koalitionsvertrag messen

SPD-Fraktionsvorsitzender Gottfried Timm zur Großen Koalition in Mecklenburg-Vorpommern

Am Donnerstag soll Berndt Seite (CDU) erneut zum Ministerpräsidenten Mecklenburg-Vorpommerns gewählt werden - diesmal mit den Stimmen der SPD, obwohl deren Wahlziel die Ablösung des bisherigen Regierungschefs war. Auf einem Landesparteitag hatten die Sozialdemokraten vergangene Woche nur unter großen Bedenken einer Großen Koalition zugestimmt und zugleich ein deutliches Profil der SPD in diesem Bündnis gefordert. ND sprach darüber mit Fraktionschef GOTTFRIED TIMM.

Bei der Diskussion über den Koalitionsvertrag wurde immer wieder zur Wachsamkeit gegenüber der CDU aufgerufen. Ist solches Mißtrauen eine gute Basis für gemeinsames Regieren?

Das Parlament hat als erste Staatsgewalt ein ganz wichtiges Recht und eine Pflicht - das ist die Kontrolle über die Landesregierung. Die SPD-Landtagsfraktion wird mit großer Aufmerksamkeit darüber wachen, ob der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik so bestimmt, wie es der Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Wenn er das nicht tut, gibt es Krach.

In einem Punkt hat die CDU den Vertrag bereits in ihrem Sinne ausgelegt. Sie zerschlug das Umweltministerium. Der Parteitag hat verlangt, die Entscheidung revidieren zu lassen.

Erstens werden wir darauf drängen, daß im Landtag ein

Umweltausschuß eingerichtet wird. Zweitens werden wir mit dem Ministerpräsidenten darüber reden, ob die Aufteilung des Umweltministeriums anders erfolgen soll. Das wird noch diese Woche geschehen.

Machen Sie die Wahl Seites zum Ministerpräsidenten davon abhängig?

Auch Frau Merkel als Vorsitzende des CDU-Landesverbandes und Bundesumweltministerin in Bonn wird sicherlich ihre Interessen anmelden, was die kompakte Administrierung von Umweltpolitik im Land betrifft. Ich meine, daß wir da eine Mitstreiterin an unserer Seite haben.

Rechnen Sie damit, daß Seite auch in anderen Fällen ungenaue Formulierungen des Koalitionsvertrages ausnutzen wird, und wie will die SPD dann reagieren?

Wenn die CDU den Koalitionsvertrag bricht, ist natürlich die Koalition beendet. Zum

Beispiel haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, daß der Büß- und Bettag zur Finanzierung der Pflegeversicherung gestrichen wird. Daran fummelt die CDU schon wieder herum. Mit uns ist das nicht zu machen.

Mit allen Konsequenzen?

Jede Attacke gegen den Koalitionsvertrag ist auch eine Attacke gegen die SPD.

Auf dem Parteitag spielte eine große Rolle, wie sich die SPD in der Großen Koalition profilieren will...

In der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik werden wir dafür sorgen, daß die Arbeitslosigkeit reduziert wird. Über den zweiten Arbeitsmarkt wollen wir Korridore schaffen, um Arbeitnehmer in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Als Verantwortliche für Hochschulpolitik wollen wir für eine kluge Verbindung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Forschungspolitik in diesem Land sorgen, um mit zukunftsfähigen Industrieprodukten auf den internationalen Märkten auftreten zu können. Wir werden auch daraufhinarbeiten, daß die Bildungslandschaft den Anforderungen des nächsten Jahrtausends gewachsen ist. Das bedeutet vor allem, daß durch eine ent-

Gottfried Timm, Fraktionschef der SPD Mecklenburg-Vorpommerns Foto: N D-Archiv

sprechende Schulstruktur der Geburtenknick und die dadurch verminderte Schülerzahl abgefedert und daß die Chancen, die sich aus der geringeren Schülerzahl für die pädagogischen Möglichkeiten ergeben, genutzt werden.

Erwarten Sie, daß die PDS als nunmehr einzige Oppositionspartei von Ihnen in den Koalitionsverhandlungen nicht durchgesetzte SPD-Positionen als eigene Anträge einbringt?

Die PDS hat bereits zwei Gesetzesentwürfe in den Landtag

eingebracht. Beide stehen aber schon im Koalitionsvertrag, sind also für uns ungefährlich. Wenn die PDS sachliche und finanzierbare Vorschläge

macht, werden wir prüfen, ob sie umgesetzt werden können. Wenn die PDS aber unsachliche und weltfremde Vorstellungen entwickelt, werden wir das deutlich artikulieren. Bisher hat die PDS oft Vorstellungen im Landtag eingebracht, die an den Möglichkeiten des Landes vorbeigingen - allerdings auch andere, mit denen wir einverstanden waren. Im Punkt 1 der Koalitionsvereinbarung haben wir unter der Überschrift „Neue politische Kultur“ versucht, darauf hinzuwirken, daß es in der neuen Legislaturperiode nicht wieder Ausgrenzungen gibt. Die PDS ist für uns eine Partei, mit der wir im Wettbewerb stehen und um die besseren Ideen ringen. Das werden wir in der Landtagsarbeit auch praktizieren.

Wird die Koalition die volle Legislaturperiode halten?

Wenn die CDU die im Koalitionsvertrag vereinbarte Politik mit uns durchsetzt, dann ja. Wenn sie allerdings davon abweicht, dann sehe ich große Probleme.

Interview: PETER RICHTER