nd-aktuell.de / 27.03.1995 / Kultur / Seite 8

Vergessenes Wunderkind'

Für einen 68er ist Christian Pittius zu jung. Doch den Jazz der Protestgeneration hat „das vergessene Wunderkind der DDR“, so wird er hochachtungsvoll von Kollegen aus den alten Bundesländern genannt, bis heute im Blut. Aber bis der ausgezeichnete Musiker zu seiner „Miss Bertha Hammond“ fand, sollten 27 Jahre vergehen...

1955 geboren, erhielt Christian schon während seiner Grundschulzeit musikalischen Extra-Unterricht. Mit 7 Jahren hat „Pitti“ das Erlebnis, das sein musikalisches Weltbild formen sollte: Im AFN hört er“ den schwarzen Jazzorganisten Jimmy Smith auf der Hammond B3. Doch an solch ein Instrument zu kommen, war in der DDR nicht möglich. Wohl aber Förderunterricht an der Musikschule Friedrichshain, an der zahlreiche Jazzer und Rocker der DDR ihr Rüstzeug erhielten. Zu der Zeit arbeitete der junge Pianist bereits in zahlreichen Rockbands, die auch Orgeln, aber eben keine Hammond B3 im Inventar hatten.

Spätestens seit 1972/73 hat sich der Jazz in der DDR fest

etabliert. 1976 veröffentlichte die Ostberliner Gruppe „Synopsis“ bei der West-Berliner Free Music Production „Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil“, für Pitti damals und auch heute noch eine vorbildliche Aufnahme. Im Rückblick bewertet „Pitti“ die aufblühenden DDR-Free-Jazz-Aktivitä-

ten - damals selbst bei Sessions in der Berliner Langhansstraße dabei - so: „Diese Musik wurde zum künstlerischen Protestventil. Während im Westen meist US-Zitate in den Free-Jazz flössen, brachten DDR-Musiker wie Petrowsky, Gumpert, Bauer, Sommer, aber auch Schönfeld manchmal farcenhaft systemgenehme Musik, doch ebenso lokalgewachsene Traditionen in dieses musikalische Sammelbecken ein. „Übrigens, an der Friedrichshainer Musikschule für Tanz und Unterhaltung, da kannst Du mal sehen, wie irreführend dieser Name ist, traf ich auf Ulrich Gumpert,, der mir schon damals Bebop-Harmonien am Piano zeigte und Free-Jazz-Unterweisungen gab. Klassische Musikliteratur hatte unser Lehrer ,Günthi' Weise genügend parat. Um die westliche Moderne mußten wir uns selbst kümmern.“

Das Leben des Christian Pittius, der sich, abgesehen von der Zeit bei der Klaus Lenz-Big Band, menschlich und musikalisch, „wie in einem schwarzen Loch fühlt“, änderte sich schlagartig 1989. Da erstand

er nämlich seine Miss Bertha Hammond, eine Hammond B3 Orgel. Das umgehend zusätzlich erworbene Baßpedal bindet ihn nun nur noch rhythmisch an einen Schlagzeuger. So konnte er auch seinen 27 Jahre alten Traum von der „kleinsten Jazzeinheit“ verwirklichen.

„Hammond B3“, das war eines der Schwerpunktthemen des Jazz-Festes Berlin 93. Christian Pittius als „unbekannter Ostler“ wurde zwar von den Programmachern nicht berücksichtigt, doch lernte er den eingeladenen „Mighty Burher“ Charles Earland: kennen, der, von Pittis großer Pranke und seinem Können begeistert, seine Initialen in „Miss Berthas Leib“ kratzte.

Bevor die tönende Dame und Pittius für eine Zeit nach Sizilien abdampfen, „denn dort kann ich spielen, jede Nacht, und das ist alles, was ich will“, sind beide, vermehrt um Schlagzeuger Ernst Bier und Loomis Green an der Gitarre, heute ab 20.30 Uhr im Cafe Pio in der Berliner Zossener Straße 24 zu erleben.

HANSDIETER GRUNFELD