nd-aktuell.de / 20.04.1995 / Kultur

Der gute Mensch von überall

Das Zeitstück ist 30 Jahre alt, ein Klassiker fast.

Die Uraufführung im November 1965 war ein britischer Theaterskandal und ein europäisches Ereignis. Die deutsche Erstaufführung gab es im April 1967 in den Kammerspielen München, „Aufführung des Jahres“ laut „Theater heute“ Ihr Regisseur, Peter Stein, ward damit so berühmt, daß er in einem Zuge danach sein zum Mythos gewordenes Ensemble in Bremen bildete, die klassisch gewordene Inszenierung des „Torquato Tasso“ machte, 1970 die Berliner Schaubühne übernahm. Mit Produktionen wie „Peer Gynt“ und „Prinz Friedrich von Homburg“, „Die Mutter“, „Optimistische Tragödie“ und „Sommergäste“ machte er sie zur bedeutendsten Bühne im deutschsprachigen Raum. Mit der „Orestie“ (1980) erreichte er den Gipfel. Schmerzlicher Abgesang waren die „Drei Schwestern“ (1983/84). Sie beendeten diesen Kraftakt. Erst jetzt, als Künstlerischer Direktor der Salzburger Festspiele, ernüchtert er davon mit pompösen Klassikern.

Dieses Schicksal wird der Regisseur des Hallenser Spiels

sicher nicht teilen. Aber kräftiges, weit ausholendes Theater machte Hilmar Eichhorn doch, in dem dafür höchst geeigneten, von Sabine Pommerening eingerichteten szenischen Raum, in dem gute Schauspieler sinnträchtige Kostüme von ihr angezogen bekamen. Die Musik von Jan Trieder paßte dazu. Die meist jungen Darsteller waren bereits in der „Räuber-Inszenierung von Peter Sodann (1994) zu sehen, davon in gutem Sinne geprägt. Denn auch hier handelt eine Bande junger Leute; es gibt einen irrenden, dabei halbwegs guten Menschen und einen bereits zerstörten: Es gibt zwei Männer, wenngleich keine Brüder, und eine Frau. Die heißt Pam (Gundula Piepenbrink), der ruppige junge Mann Fred (Rayk Gaida) und der andere Len (Jeffrey Burrell), der gute Mensch, der von London ist und auch von nirgendwo und überall sein könnte.

Worum geht es? Um Liebe, um Nichtliebe, um Haß, um Entfremdung zwischen Menschen, um Mord. Und um Gutsein, um Hoffnung.

Pam wird geschwängert von Fred, dem schönen Kraftbur-

schen, der sie indes nicht liebt. Dies tut dafür, nahezu hoffnungslos, Len. Obwohl er im Hause von Pams Eltern lebt. Dort ist die Hölle. Ein ständig in Betrieb befindlicher Fernseher Dazu jetzt ein schreiendes Kind, welches der lauter gestellte Apparat übertönen soll. Wohin mit dem Kind zwischen all dem unerfüllten Leben? Die ewig versoffene Mary hätte Besseres verdient gehabt. Exzessiv im Ausdruck Monika Pietsch. Harry ist eigentlich grundanständig, aber

schwach. Sehr still. In der Stille stark Joachim Unger, dem ich heftig applaudiert habe. Wie die beiden aneinander vorbeileben, ist überzeugend inszeniert, intensiv gespielt.

Wohin mit dem Kind? Pam will mit ihm zu Fred, aber den zieht es mehr zu der Bande, die ihn obendrein verhöhnt. Sie läßt den Wagen mit dem Baby stehen. Die Bande treibt Unsinn, welcher zum Verbrechen wird - sie steinigen, töten das Kind. Fred wird verurteilt, sitzt ein. Als er entlassen wird, hofft Pam noch einmal. Umsonst. Fred ist nicht gebessert. Nur Len hält noch zu ihr, er trotzt allen Gemeinheiten, setzt Güte gegen Gewalt. Wie das Burrell macht, ist anrührend.

Nichts äußerlich Kraftmeierisches. Gundula Piepenbrink setzt ihre Pam in sehenswerte Spannweiten zwischen Zartheit und Gemeinheit, Gebrochenheit und Sinnlichkeit. Die Bande um Pete (Jörg Simonides), Colin (Henning Peter), Mike (Franz Sodann) und Barry (Peter W Bachmann) ist ziemlich gut differenziert. Auch diese von der Gesellschaft verlassenen Rohlinge sind Individuen - besonders genau Peker als Colin, artifiziell sein Spiel mit dem Messer Bei Ausbrüchen haben einige, sicher durch die akustischen Tücken des Hauses verstärkt, ihre Grenzen. Manch Text ging dem Zuschauer verloren.

„Gerettet“ - ein klassisches Zeitstück!? Gewiß - die Zustände des Stückes sind überall: Gewalt, Fremdheit, Mord. „Gerettet“ ist das letzte Wort von Goethes „Faust I“, gemeint ist die himmlische Rettung der Seele. Hier wird nicht einmal das Kind gerettet.

Die Fragen bleiben offen im hellen Lichte des Finales. Der gute Mensch aber wird weiter gut bleiben, seines tun. Unsere einzige Hoffnung.