Topfit?

Vor dem nächsten großen Auftritt wird die gute Gesundheit des 64jährigen russischen Präsidenten demonstrativ herausgestellt. Jelzin habe hohen Blutdruck, sei aber „dem Alter entsprechend arbeitsfähig“, verkündete sein Sprecher Der durch schwankende Auftritte mit schwerer Zunge ausgelöste Verdacht der Trunkenheit war nicht einmal ein Dementi wert.

Ist Jelzin aber auch politisch topfit? Meinungsforscher ermitteln das Gegenteil: 87 Prozent der Befragten halten ihn für unfähig, den Anforderungen des höchsten Staatsamtes zu entsprechen. 70 Prozent sehen das Land in der Sackgasse. Volkstribun Boris Nikolajewitsch ist zur ungeliebten Obrigkeit geworden.

Auch das Parlament wittert die Schwächung. Es setzte bei lediglich 13 Ge-

genstimmen und vier Enthaltungen die Debatte zur jährlichen Botschaft des Präsidenten einfach von der Tagesordnung ab. Sie sei wegen der vielen Allgemeinplätze uninteressant, war in der Lobby zu hören. Als nächstes legte sich die“ Staatsduma gleich noch mit der Verfassung und Jelzins Demokratieverständnis an. Der Föderationsrat, die zweite Kammer, soll künftig gewählt und nicht einfach „formiert“ werden.

Hinzu kommen die Schlappen im Krieg mit Tschetschenien und in der Wirtschaft. Ebensowenig wie an das Ende des Blutvergießens mögen die meisten Russen an das der Krise glauben. Auch dafür aber steht der Präsident direkt in Verantwortung. Selbst wenn er gesundheitlich topfit ist, politisch ist Jelzin schwer angeschlagen.

KLAUS J. HERRMANN. Moskau