nd-aktuell.de / 25.04.1995 / Politik / Seite 7

Mehr als ein paar Verrückte

Die Gründungskonferenz in der Oper von San Francisco

Foto: AKG Pressebild

Die USA-Presse hat in der Vergangenheit wiederholt über Drohungen in rechten Hetzschriften, schwerbewaffnete Milizen, rechtsextreme Bünde, nazistische Rockgruppen und ihre wachsende Anhängerschaft berichtet. Doch man sah die militanten Rechten als kontrollierbare Splittergrüppchen an. Seit dem Erstarken der religiösen Rechten und der Christian Coalition um Pat Robertson, den strammen Soldatenpolitiker Oliver Northv dentexanischen Republikaner Dr. Steven Hotze, der die Todesstrafe für Homosexuelle fordert, und Newt Gingrich mit seinen siegreichen konservativen Kongreßkollegen sind liberale Journalisten und demokratische Politiker aufmerksamer geworden. Denn auch Talkshows mit rechten Demagogen wie Gordon Liddy und Rush Limbaugh machen die unzufriedene und verarmende Masse der US-Amerikaner scharf und blind. Neue starke Männer wittern ihre Chance.

Die Extremisten behaupten, die Regierung bestehe aus Kriminellen und wolle ein totalitäres Regime errichten. Sie kämpfen gegen Steuern und Gesetze, die den Waffenbesitz regeln sollen. Die Mitglieder legal gegründeter Milizen arbei-

ten in kleinen Gruppen von zwei bis drei Mann zusammen, um sogenannte revolutionäre politische Gewalt auszuüben. Etwa 20 000 Mitglieder vermutet man in diesen Formationen. Das FBI berichtet von insgesamt 300 rechtsextremen Gruppen. Die „Aryan Nation“ (Arische Nation) etwa war 1993 nur in drei Bundesstaaten vertreten, im letzten Jahr hat sie sich in 15 Bundesstaaten ausgebreitet.

Am 25. April 1945 war San Francisco gleichsam die Hauptstadt der Welt. Aus nahezu allen Ecken und Enden dieser Erde waren Abgesandte von 46 Staaten zusammengekommen, um eine Organisation zu gründen, die geeignet sein sollte, der Welt für alle Zeiten den Frieden zu sichern. Viele der Delegationen hatten einen riesigen Troß mit nach San Francisco gebracht, den Hunderte von Journalisten noch vergrößerten. Der Verkehr in der zauberhaften Stadt am Pazifik brach völlig zusammen. Da es kein Kongreßzentrum gab, groß genug, die vielen Diplomaten, Beobachter, Übersetzer aufzunehmen, wurde die Oper „zweckentfremdet“.

Wie schon bei der Gründung des Völkerbundes war es ein Präsident der USA - Franklin D. Roosevelt -, der die Initiative zu einem neuen Bund der Staaten ergriff. Roosevelt, überzeugt, daß es den Alliierten gelingen werde, die faschistischen Mächte zu besiegen, dachte schon vor Eintritt der USA in den Krieg an die künftige Nachkriegsordnung. Bereits am 12. August 1941, als er sich mit dem britischen Premier Winston Churchill auf einem Schlachtschiff im Atlantik traf, verständigten sich beide Politiker über ein Acht-Punkte-Programm, das in die Geschichte als Atlantik-Charta eingegangen ist und das die Schaffung eines dauerhaften Systems der allgemeinen Sicherheit für die 1 Zeit nach dem' Kriege vorsah. Der von Roosevelt geprägte Begriff der United Nations wurde in die Sprache der Politik eingeführt.

Die sowjetische Führung erinnerte die beiden sehr schnell daran, daß sie in dieser Angelegenheit wohl ein Wort mitzureden hätte. Sie erklärte zusammen mit neun anderen Staaten - am 24. Dezember 1941 ihren Beitritt zur Atlantik-Charta. Es fiel den Vertretern der beiden Westmächte sichtlich schwer einzusehen, daß ihr Plan ohne die Sowjetunion nicht zu verwirklichen war. Am 1. Januar 1942 unterzeichneten die Vertreter der USA, Großbritanniens, der Sowjetunion und Chinas die Deklaration der Vereinten Nationen, die die Atlantik-Charta bekräftigte und ergänzte und die Verpflichtung enthielt, mit den

Feinden keinen gesonderten Waffenstillstand oder Frieden zu schließen. Am nächsten Tage traten weitere 22 Regierungen dieser Deklaration bei, und in den folgenden drei Jahren schlössen sich noch 21 Staaten an.

Inzwischen hatten die Völkerrechtler des State Departements unter der Verantwortung des damaligen stellvertretenden Außenministers Edward Stettinius eifrig an Entwürfen für die Satzung dieser Organisation gebastelt. Im Oktober verständigten sich in Moskau die Außenminister der großen Vier über wichtige Grundsätze, und im Dezember räumten Roosevelt, Churchill und Stalin in Teheran noch einige Hindernisse beiseite. Im Herbst 1944 einigten sie sich in langwierigen Beratungen in Dumbarton Oaks am Rande von Washington, bei denen Andrej Gromyko als damals 35jähriger Botschafter in den USA und als sowjetischer Verhandlungsführer zum ersten Mal Beispiele seiner Hartnäkkigkeit unter Beweis stellen konnte, über die meisten Bestimmungen eines Entwurfs für die Satzung der Organisation; die restlichen Fragen konnten auf der Jalta-Konferenz im Februar 1945 geklärt werden.

Nach San Francisco wurden dann alle Länder eingeladen, die bis zum 8. Februar 1945 ihren Beitritt zur Deklaration der Vereinten Nationen und bis zum '1. März den Achsenmächten den Krieg erklärt hat-

ten - das waren 46 Staaten. Einige kamen während der Konferenz noch hinzu, so daß die Gesamtzahl der Gründungsmitglieder auf 50 anstieg. Da sich die Sowjetunion und die Westmächte anfangs nicht darüber verständigen konnten, welche der beiden polnischen Regierungen berechtigt sei, an der Konferenz teilzunehmen, trat Polen erst nach der Konferenz bei, wird aber zu den Gründungsmitgliedern gezählt.

Nur wenige Delegationen waren bereit, die Satzung so

zu schlucken, wie sie präsentiert wurde. Es gab 36 Änderungswünsche. Die mittleren und kleinen Staaten kämpften für die Begrenzung der Vorrechte der Großmächte, für die Gewährung größerer Kompetenzen an die Vollversammlung und für die Vergrößerung der Zahl der nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrates.

Doch die großen Vier, die nicht im Traum daran dachten, ihre Position als Großmacht etwa zur Disposition zu stellen und an eine Weltorganisation abzutreten, sondern im Gegenteil überlegten, wie ihre Stellung mit Hilfe einer von ihnen beherrschten internationalen Organisation noch wirkungsvoller umgesetzt werden könnte, waren einig wie selten danach. Sie betrachteten das Einstimmigkeitsprinzip der Großmächte und das sich daraus ableitende Veto-Recht als essentielle Voraussetzung für ihr Mitwirken. Unter keinen Umständen waren sie bereit, ihr Handeln von zufälligen Mehrheiten bestimmen zu lassen.

So konnten die anderen Delegationen nur geringe Erfolge für sich verbuchen. In der Illusion, ein neues Zeitalter sei angebrochen, in dem sich alle Staaten, die mächtigen wie die

schwachen, nur noch von den Prinzipien des demokratischen Völkerrechts werden leiten lassen, akzeptierten sie die dem Völkerrecht hohnsprechende Zweiteilung der Staaten in große und kleine.

Auch die Versuche, das Veto-Recht wenigstens bei etwaigen späteren Satzungsänderungen aufzuheben, scheiterten. Wenn also heute nach 50 Jahren, in denen sich die Welt bis zur Unkenntlichkeit gewandelt hat, eine Überprüfung von Aufgaben, Strukturen und Instrumentarien vorgenommen werden soll, um die Organisation den neuen Bedingungen anzupassen, liegt es an den durch die ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat und das Veto-Recht Privilegierten, ob sie einen demokratischen Wandel der Organisation zulassen oder nicht.

Da sie ihre Vorrechte als eine Art Erbpacht betrachten, können die Hoffnungen, sie werden Einsicht zeigen und freiwillig auf etwas verzichten, was ihnen auf ewig gehört, nicht sonderlich groß sein. Doch wenn sich die UNO auf altem Wege fortbewegt, wird sie immer stärker von den Großen mißbraucht werden oder ein Schattendasein führen und langsam dahinsiechen.