nd-aktuell.de / 25.04.1995 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Ohne einen neuen Normalarbeitstag

Eindrucksvoll und überzeugend ist der Nachweis, daß es sich um einen unwiderruflichen Abschied handelt. Es liegen sozial-kulturelle, wirtschaftliche und technologischorganisatorische Wandlungen zugrunde: Individualisierung von Lebensläufen und Pluralisierung von Lebensformen schreiten unaufhaltsam voran.

Die traditionelle Familie mit „Ernährer“ und „Hausfrau“, der bestenfalls dazuverdienenden Ehefrau, verliert ihre soziale Bindekraft und ihre Dominanz unter den Lebensformen. Zeitsouveränität wird angesichts komplizierter werdender Zeitmuster in der Gesellschaft, aber auch angesichts immer differenzierterer Angebote für die eigene Lebensgestaltung immer wichtiger Die Flexibilierung aller

und die durch ihn begründete Optionalität vor - Rechte, Spielräume und Chancen für vom Individuum bestimmte und verantwortete Entscheidungen, von denen es je nach Präferenz Gebrauch machen kann oder nicht“ (S.241) Dieser Bürgerstatus der Beschäftigten im Betrieb - „industrial citizenship - dürfe ihnen nicht länger vorenthalten werden. Der Betrieb dürfe hinsichtlich der Meinungs-, Koalitions-, Gewissens-, Presse- und Berufsfreiheit nicht als „einseitige Grundrechtssphäre des Arbeitgebers“ ausgestaltet bleiben. Gleichberechtigte Partner seien Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur beim Abschluß von Arbeitsverträgen, nicht bei deren praktischem Vollzug. „Das Bürgerrecht auf körperliche, geistige und seelische Integrität erfährt mit dem Abschluß des ArBeitsvertrages erhebliche Einschränkungen“ Bisherige Reformen bezögen sich vornehmlich auf Schutzrechte, weniger auf Äußerungs- und Bestätigungsrechte. Es kann zum Beispiel rechtliche Folgen haben, wenn ein Beschäftigter sich über ökologisch bedenkliche Praktiken seines Betriebes äußert. Es müsse das „Direktionsrecht des Arbeitgebers umgestaltet und zumindest durch eine Diskurspflicht ergänzt werden.“

Bleibt die Frage: Wie diese Chancen nutzen und die Gefahren abwenden? Auf die teilweise Deckungsgleichheit der Interessen der Beschäftigten und der Unternehmer ist gewiß

kein Verlaß. Gruppenarbeit zum Beispiel kann, wie die Autoren schreiben, Selbstorganisation, Selbstbestimmung fördern, gar „Widerstandsnester“ gegen Unternehmerwillkür ermöglichen, aber auch von den Unternehmen in ihrem Interesse instrumentalisiert werden: Die Gruppen eliminieren dann von sich aus - was Beschäftigte bislang kaum taten - die weniger Leistungsfähigen.