nd-aktuell.de / 25.04.1995 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Leitzinsen? Leidzinsen!

Leitzinsen einer Zentralbank sind der Diskontsatz und der Lombardsatz. Der Diskontsatz ist der Zins, den man zahlen muß, wenn die Notenbank einer Geschäftsbank Kredit gegen Wechsel gibt. Und den Lombardsatz zahlt man als Zins, wenn man der Notenbank Wertpapiere zur Sicherheit hinterlegt. Mit dem Diskont und dem Lombard soll allen Zinsen im Lande eine Richtung vorgegeben werden.

Leidzinsen sollte man den Diskontsatz und den Lombardsatz nennen, wenn sie wirkungslos bleiben oder gar Schaden anrichten. Wenn man zum Beispiel die Leitzinsen erhöht, um der steigenden Inflation entgegenzuwirken, oder sie senkt, um die Konjunktur zu verbessern, oder den Kurs der eigenen Währung nach oben zu bremsen, und das nichts hilft, dann sind sie zu Leidzinsen geworden, und erst recht, wenn man die Zinsen zum Beispiel vergeblich senkt, um den Kurs der eigenen Währung zu senken und dabei gleichzeitig die Inflation anheizt.

Heute gibt es eigentlich nur noch Leidzinsen. Derzeit kaufen die Notenbanken in Tokio und Frankfurt am Main wie wild Dollar, bisweilen unterstützt von anderen Banken, aber der Dollar fällt und fällt gegenüber D-Mark und Yen. Dann geben sie diesen vergeblichen Kampfzeitweise auf und versuchen es, wie die Bundesbank oder die japanische Zentralbank, wieder vergeblich, mit einer Senkung des Diskontsatzes, damit der deutsche bzw. japanische Zinsmarkt weniger attraktiv für das Ausland wird, also weniger D-Mark bzw Yen gekauft werden. Zugleich hatte man gehofft, daß die amerikanische Notenbank ihren Zinssatz erhöhen würde, um den Dollar durch ausländische Geldanlagen in den USA attraktiver zu machen. Aber die USA-Notenbank erhöhte ihren Zinssatz nicht. Große Teile des Kapitals in den USA haben nämlich gar nichts gegen einen sinkenden Dollarwert, da die USA ein großes Außenhandelsdefizit haben und ein

sinkender Dollarwert die Ausfuhr begünstigt.

Ganz verzweifelt schrieb dieser Tage die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ „Die Zentralbanken - so meinten Londoner Finanzhäuser am Wochenende - hätten zwei Schlachten verloren: Erst hätten sie den Rückzug an der Interventionsfront angetreten und dabei den Dollar im Stich gelassen, und nun hätten sie auch noch Schwächen in der Diskontpolitik, also bei den Geldmarktzinsen, gezeigt. Der verunsichernden Beibehaltung des Diskontsatzes durch die amerikanische Notenbank folgte am vergangenen Wochenende die demonstrative Verbilligung der D-Mark durch die Bundesbank mit der Rücknahme des Diskonts von 4,5 auf 4 Prozent. Um das Maß voll zu machen, kam es zu einem ziemlich hilflosen Taktieren der japanischen Währungsbehörden am Devisenmarkt.“

Zur gleichen Zeit erklärte der Präsident der Bundesbank, daß die Senkung des Diskontsatzes - der Lombardsatz blieb unverändert - die letzte für lange Zeit sei. Denn mit Recht befürchtet er von dem billigeren Geld eine ungünstige Wirkung auf die Inflationsrate. Hat er doch die Senkung nur unter stärkstem Druck des Industriekapitals, das bei einer starken D-Mark um seine Ausfuhr besorgt ist, vorgenommen.

Niemand soll sich daher Hoffnung auf billigere Zinsen in der nächsten Zukunft machen. Im Gegenteil, es sollte nicht verwundern, wenn die Zinsen in der zweiten Hälfte des Jahres wieder ansteigen, genau, wie auch die Inflation steigen wird.

Ein Ende der Währungsturbulenzen ist auch nicht abzusehen. In der Tat beobachten 1 wir einen“ der merkwürdigsten Wirtschaftszustände in der Geschichte des Kapitals: Der produzierenden Wirtschaft geht es gar nicht schlecht. Um so bedrückter ist das Kapital über die Finanzwirtschaft, die sich auf allen Gebieten chaotisch bewegt - nicht zum wenigsten bieten die Börsen außerhalb Wallstreets, wo die Kurse sich genauso nach oben bewegen wie der Dollar nach unten, ein tristes Bild.

JÜRGEN KUCZYNSKI