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  • Kultur
  • An Erinnerungssendungen zum Tag der Befreiung mangelt es nicht auf unseren Fernsehkanälen

Schwieriger Umgang mit deutscher Geschichte

  • PETER HOFF
  • Lesedauer: 4 Min.

Wieder einmal hat unser aller Kanzler das rechte Wort zur rechten Zeit gesprochen. Am Rand des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes bemerkte er, der 8. Mai sei ein Gedenktag, und er ergänzte diese so treffsichere Definition dahingehend, daß dieses Datum bei jedem andere Assoziationen wecke - nun endlich wissen wir Bescheid! Und, erstaunlich, genau so sieht auch das Fernsehprogramm aus, das diesem Gedenktag entgegenstrebt.

Es mangelt wahrlich nicht an Erinnerungs- und Gedenksendungen. In allen Dritten Programmen wurde inzwischen die sechsteilige Dokumentation „Die Deutschen im zweiten Weltkrieg“ aus dem Jahre 1985 wiederholt, eine Reflexion deutscher historischer Befindlichkeit. Das Bombardement auf Potsdam fand im ORB seine Würdigung, und seit dem 18. April berichtet das ZDF täglich nach dem „heute Journal“ über „Die letzten 20 Tage“, wie der Krieg zu Ende ging-

Wie schon die letzte Staffel der ZDF-Serie „Der verdammte Krieg“, die vor drei Wochen endete, wecken auch diese historischen Kalenderblätter bei

mir zwiespältige Gefühle. In der Koproduktion des Zweiten Deutschen Fernsehens mit dem Staatlichen Russischen Fernsehen, seinerzeit im Zeichen von Glasnost und Entspannungspolitik gestartet, waren die Autoren doch sehr bemüht, allen vom Kanzler beschworenen Assoziationen gerecht zu werden: Der Veteran der Roten Armee sollte sich darin ebenso wiederfinden wie der ehemalige nazistische Generalstäbler oder der SS-Mann aus der Reichskanzlei. Erstmals werde von russischer Seite eingestanden, war aus der Mainzer Geschichtsredaktion zu hören, daß auch von Soldaten der Roten Armee Kriegsverbrechen verübt wurden. Zur Konsequenz, daß jeder Krieg ein Verbrechen ist und Soldaten zu Mördern ausgebildet werden, mochte man sich freilich nicht durchringen. Und Hitlers letzte Tage im „Führerbunker“ sind eine zu schäbige Geschichtsepisode, um sich ihr in aller hier angebotenen Ausführlichkeit zu widmen. Das Ganze nun noch einmal häppchenweise, in Fünfminutenportionen - es fesselt mich nicht und erhellt auch nicht die historischen Prozesse vor fünfzig Jahren.

Christian Klemke und Manfred Köhler suchten in „Roter märkischer Sand“ (ORB, Donnerstag) vor Ort nach Spuren der Schlacht um Berlin. Der Film gewährt einen historischen Lokaltermin, zitiert auch Leute wie die Teilnehmer eines „Kameradschaftstreffens“ von früheren Nazioffizieren, die sich durch den Geschichtsverlauf heute in ihrem damaligen Antibolschewismus bestätigt

noch einmal in dem unvollendeten Dokumentarfilm, den britische und amerikanische Filmemacher, darunter auch Alfred Hitchcock, über das Grauen in deutschen KZ gedreht hatten, der aber dem beginnenden Kalten Krieg zum Opfer fiel: Die Materialien sowjetischer Frontkameraleute über Auschwitz fanden keinen Eingang in diesen Film mehr und wurden zu einem eigenen sowjetischen Film montiert. Doch dieses Fragment, knapp eine Stunde lang, ist ein zutiefst bewegendes Zeitdokument des engagierten Antifaschismus, mit dem die Soldaten der Antihitlerkoalition seinerzeit in die Kämpfe zogen, bereit, dem Grauen, dem sie in den befreiten Lagern begegnet waren, für alle Zeiten ein Ende zu setzen.

Und von diesen grauenvollen Verbrechen wird die Geschichte die Deutschen niemals schuldfrei sprechen können. Die Geschichte des Films, der fünfzig Jahre im Tresor lag, illustriert ihrerseits das Klima des Kalten Krieges, der unmittelbar dem zweiten Weltkrieg folgte, nicht weniger verheerend als der vorangegangene.

Tiefer lotende historische Reflexion ist selten. Der Film-

essay „Hitler und die Deutschen. Geschichte einer Beziehung“, eine Kollektivarbeit west- und ostdeutscher Filmemacher, am Sonntag gegen Mitternacht im Gemeinschaftsprogramm der ARD gesendet, suchte nach einer geschichtlichen Positionsbestimmung des Nazismus - und verwies dabei auf die Schwierigkeiten bei der Bestimmung eines deutschen „Geschichtsbildes“ Denn natürlich darf die KPD wie die NSDAP als Feind der Weimarer Republik denunziert werden. Der Anteil von SPD, Centrum usw., der Vorgängerparteien der heutigen bürgerlichen Parteien, am Scheitern von Weimar wird heruntergespielt, Namen wie Noske u. a. werden nicht genannt. Dennoch fällt diese Dokumentation im Fernsehprogramm aus der Rolle. Geschichte wird philosophisch hinterfragt, die Massenpsyche und ihre Steuerung durch die Nazi-Propaganda analysiert, Zusammenhänge zur Wissenschaft und zur Industrie werden politökonomisch aufgezeigt. Die Autoren verwenden interessantes Filmmaterial und verhehlen nicht, daß es sich dabei um Propagandama-

terial handelt, das hinterfragt werden muß.

Der Überblick bleibt schematisch, achtzig Minuten können die schrecklichsten zwölf Jahre der deutschen Geschichte nicht umfassend darstellen. Aber immerhin weist er überzeugend nach, daß „die Nazis“ nicht eine fremde Macht waren, die eines Tages über die unschuldigen Deutschen kam, sondern eben diese Deutschen, die heute noch das selbstverschuldete Nach-

kriegsschicksal als nationales Unglück beweinen - ein Führer, ein Volk. Er demontiert überzeugend die Lebenslüge der Deutschen: Hitler war an allem schuld! Und er zeigt, wie und wo der Hitlermythos weiterlebt. - Eine notwendige Nachhilfe zum deutschen Geschichtsverständnis, Beispiel für überzeugende Geschichtsaufbereitung, die weite Verbreitung verdiente.

Der Film kam jedoch zu später Nachtstunde zur Sendung; spät genug, um ihn wahrscheinlich zur Wirkungslosigkeit zu verurteilen. Der Umgang mit deutscher Geschichte bleibt schwierig, gerade auch an einem Gedenkdatum.

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