nd-aktuell.de / 01.06.1995 / Politik / Seite 10

Führerprinzip und Schweigegelübde statt „guter Taten“

Rechtsradikales beim PBS: Immer wieder sorgen wilde Pfadfindertruppen für ein schiefes Bild der traditionellen Jugendverbände / Von HOLGER REILE

Lagerfeuer, Zelte und Gemeinsamkeit gehören zur echten Pfadfinderlnnentradition. Auf die Idee, das Deutschlandlied zu singen, käme hier aber niemand Foto: ZB

Kistenweise rechtsradikales Propagandamaterial fanden Beamte, als sie vorigen Monat auf Anordnung der Staatsanwaltschaft im Neckar-Odenwald-Kreis die Wohnungen von Führern des „Pfadfinderbundes Süd“ (PBS) durchsuchten. Inwischen ermittelt das Landeskriminalamt auch in weiteren Bereichen. Daß sich Pfadfindertum nicht auf Jeden-Tag-eine-gute-Tat beschränkt, sondern in seiner Tradition von Volksbewußtsein und Jugendgemeinschaft von neurechten Ideologen mißbraucht wird, mutmaßen Gegnerinnen schon lange, der jüngste Erfolg gibt ihnen allerdings nur teilweise recht.

Der Pfadfinderbund Süd mit seinen rund 1000 Mitgliedern gehört weder dem Ring deut-

scher Pfadfinderinnen noch den entsprechenden Weltverbänden an. Jetzt mehren sich Hinweise auf rechtsradikale Tendenzen: Aussteiger geben an, die Nationalhymne werde in allen drei Strophen gesungen, die Gruppe funktioniere nach Führerprinzip. Nach dem Eintritt müssen die Kinder und Jugendlichen „Schweigegelübde“ ablegen: Internes dürfe auf keinen Fall nach außen dringen.

„Diese sogenannten Pfadfinder“, erzählt eine Mutter, „haben meine Tochter so beeinflußt, daß sie sich zunehmend zurückzog, sie sollte ihre Freunde aufgeben“ Hinzu kamen Kleidervorschriften, Popmusik war verboten. Als sich die damals 13jährige entschied auszutreten, setzten PBS-Mit-

glieder sie so unter Druck, daß sie zusammenbrach.

Andere Eltern berichten, zum Duschen müßten Jungen und Mädchen gemeinsam nackt antreten, bei „Mutproben“ würden Jugendliche mit verbundenen Augen nachts alleine im Wald ausgesetzt. Maria B., deren Sohn sechs Jahre beim PBS war: „Eine braune Politsekte, mit Jugendarbeit hat das nichts zu tun“. Der Junge berichtete, eine Gruppenführerin habe ihnen erklärt, daß alles, was sie über Auschwitz und die Nazigreuel erfahren würden, gelogen sei. Struktur und Aufbau der in die Schlagzeilen geratenen Gruppe haben tatsächlich Sektencharakter. Der PBS gerät zum Familienersatz, die totale Vereinnahmung berührt nahezu alle

Lebensbereiche, langjährige PBS-Familien sind miteinander versippt.

Dieter Scholtz, eine der führenden Figuren im PBS, bei dem ebenfalls rechtsextreme Schriften beschlagnahmt wurden, dementiert die Vorwürfe. Verleumder wollten den PBS vernichten. Sein Anwalt ließ verlauten, das sichergestellte Nazi-Material sei „privater Natur“ Dem widerspricht, daß die Unterlagen bei allen Durchsuchungen in gleichartiger Zusammensetzung gefunden wurden. Die Ermittler von einer „zentralen Verteilung an Stammesführer und Mitglieder des PBS“ aus. Geklärt werden soll jetzt, wie der PBS seine Immobilien und den Fahrzeugpark finanziert, und ob die Gruppe mit anderen rechtsex-

tremen Organisationen zusammenarbeitet.

Die anerkannten Verbände Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG), Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) und Verband Christlicher Pfadfinder (VCP) distanzieren sich vom PBS. Der Begriff „Pfadfinder“ sei hierzulande nicht gesetzlich geschützt. Sogenannten wilde Pfadfindertruppen, die christlich-fundamentalistische „Katholische Pfadfinderschaft Europas“ (KPE) und die „Michaelspfadfinder“ sorgten seit Jahren für erhebliche Unruhe. „Wir haben bislang“, gibt man beim DPSG zu, „die Unterschiede zu solchen Extremgruppen nicht genug deutlich gemacht, da besteht Nachholbedarf