nd-aktuell.de / 08.06.1995 / Politik / Seite 3

Ein Flickwerk der faulen Kompromisse

Klaus Staecks Plakat entstand 1978

Faule Kompromisse? Frau Merkel, die deutsche Umweltministerin, wird diesen Vorwurf von sich weisen. Sie ist zufrieden mif dem deutschen Beitrag zum Schutz der Nordsee. Man sei nur bei der Verminderung der Nitrateinleitung nicht auf dem gewünschten Stand. 1985 habe man eine Reduzierung um 50 Prozent versprochen, wir sind aber so Frau Merkel - „nur bei 25 Prozent gelandet“ Selbstverständlich, so ließ sie vorab die

Presse wissen, wird Bonn sich für einen „neuen Anlauf zur Erklärung der Nordsee zum Sondergebiet mit verschärften Vorschriften zur Verringerung der Schadstoffbelastung“ einsetzen.

Die komplizierte Formulierung der Meldung sagt einiges. Den Rest sagen Meßwerte. Umweltexperten fragen sich beispielsweise, wo die unnatürlichen radioaktiven Isotope herkommen, die man sogar in der Deutschen Bucht findet? Die Strömung treibt sie aus den drei europäischen atomaren Wiederaufarbeitungsanlagen herbei.

Auf einer der vorbereitenden Sitzungen zur Nordseekonferenz ging es darum, daß speziell der englischen Anlage höhere Sicherheitsstandards auferlegt werden. Das ging schief, denn Deutschland, bei der Abstimmung „Zünglein an der Waage“, enthielt sich. Wer die eigene Atomwirtschaft nicht nur erhalten, sondern wie Frau Merkel - ausbauen will, obwohl eigene Aufbereitungsanlagen und Endlager fehlen, muß mit den Wölfen heulen.

Etwas sonderbar verhält sich die Umweltministerin auch in Sachen Bohrinseln. Sie

bezeichnet sich zumeist als nicht zuständig. Jüngst meinte sie jedoch, „es wäre gut, wenn wir in Esbjerg erreichen könnten, daß die Entsorgungsart für Bohrinseln bereits bei ihrer Genehmigung festgelegt wird“ Kein Wort dazu, daß ein Viertel der bestehenden 408 Nordsee-Ölanlagen in den nächsten Jahren entsorgt werden muß. Al-

Umweltbewußtsein in den Bach.“

Frau Merkel hatte bei der Diskussion zur Regierungserklärung im November 1994 gesagt, Deutschland müsse weiterhin Motor für mehr Umweltschutz, Klimaschonung und Ressourceneinsparung sein. Es würde schon helfen, wenn Deutschland seine Militärs zurückpfeift. Dann könn-

ten die nicht mehr Übungen im Nationalpark Wattenmeer abhalten. „Wir kämpfen noch immer gegen die starke Präsenz der Waffenindustrie, die ihre Produkte vor unserer Haustür testet. Trotz Protest beharrt der Bund auf seinem Schießplatz an der Meldorfer Bucht. Ein Teilerfolg ist aber errungen. Wir stoppten ein Bombenabwurftraining, das jetzt stattfinden sollte.“ Koch hat Hoffnung.

Halbherzige Kompromisse gibt es gegenüber der Schifffahrt. Am 1. Januar hat Deutschland seine Hoheitsgewässer auf 12 Seemeilen ausgedehnt. Im Nordseebqreich erweiterte sich Bonns Verantwortung damit um 4100 Seemeilen. Verkehrsminister Wissmann glaubt, die nationalen Vorschriften zum Schutz der Meeresumwelt „so wirksamer durchsetzen zu können“

Frau Merkel sekundiert, die Möglichkeit, in deutschen Häfen Öl zu entsorgen, sei vorbildlich. Hat ihr niemand gesagt, wie es wirklich darum bestellt ist? igSS.hatten sich die Küstenländer und der Bund zu einem Modellversuch gefunden. Sie richteten in den Häfen Altölsammelstellen für Frachter ein, um die Verklappung auf See zu stoppen. Nach Ende des dreijährigen Versuchs stieg Schleswig-Holstein aus. Niedersachsen, Bremen und Hamburg machten weiter

Aus Geldnot mußte Hamburg, das mit 75 Prozent des

abgelieferten Altöls die Hauptlast trug, die Zuschüsse halbieren. Schlagartig fielen 40 Prozent weniger Rückstände an. Aufs Jahr hochgerechnet sind das 39 000 t giftiger Sondermüll. Man darf raten, wo der bleibt.