nd-aktuell.de / 08.06.1995 / Politik / Seite 5

Zieht die FDP Kohl mit in den Abgrund?

Ob er jedoch aus Lebensfreude noch einmal eine Lebensaufgabe macht, sagte er nicht und gerade dieses Zögern zeigt seine Unsicherheit, wie ein solches Vorhaben ausgehen würde. Denn neben den Wählerverlusten, die die CDU mit der

SPD teilt, haben sich vor allem die strategischen Aussichten seiner Partei für den Machterhalt erheblich verschlechtert. Kohls Achillesferse ist die FDP, deren Schwindsucht auch die große Regierungspartei in den Strudel zu ziehen droht. Ohne Freidemokraten stünden CDU und CSU - wie schon in fast allen Ländern - auch im Bund ohne potentiellen Koalitionspartner da, und Kohl, der allein auf ein solches Bündnis fixiert 'ist, verlöre den Boden unter den Füßen. Es klingt wie das Pfeifen im Walde, wenn er Wetten anbietet, die Liberalen würden natürlich auch in den nächsten Bundestag kommen - aber glaubt er selbst daran? Sein Einsatz, gerade einmal zehn Flaschen Pfälzer Wein,

sagte genug über seine Erfolgsprognose, auch wenn er noch schnell „Nicht unter Auslese!“ hinzufügte.

Die vor allem von der CSU verfochtene Alternative der absoluten Mehrheit hält der Kanzler angesichts der jüngsten Wahlergebnisse vor allem seiner Partei für kaum realistisch; andere glauben noch weniger daran, und Heiner Geißler warnte sogar davor, sich von einem solch „süßen, aber giftigen Versprechen“ chloroformieren zu lassen. Gleich ihm melden sich nun wieder einmal all jene zu Wort, die schon immer nicht gerade zu Kohls Anhängern gehörten, jedoch angesichts seines Erfolgs, aber auch unvergessener Nackenschläge lange Zeit den Schwanz einzogen.