Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

FDP-Parteitag in Mainz: Macht künftig jeder Seins?

Auf ein klares inhaltliches Konzept wollen sich vor der Wahl weder Wolfgang Gerhardt noch Jürgen Möllemann festlegen Von CLAUSDUMDE

  • Lesedauer: 4 Min.

Die nach dem de-facto-Rücktritt Klaus Kinkels veränderte Tagesordnung des 46. Ordentlichen Bundesparteitags der FDP ist symptomatisch: Noch am Freitag soll der neue Bundesvorsitzende gewählt werden. Zuvor soll der bisherige reden, danach „Aussprache“. Außerdem sind die üblichen Regularien, Grußworte, Anfragen ans Präsidium und der Bericht des Schatzmeisters vor- gesehen. Auf dem Papier steht auch „Beratung von Anträgen“. Doch ob dafür vor der Kampfabstimmung zwischen Wolfgang Gerhardt und Jürgen W. Möllemann noch Zeit bleiben wird, ist fraglich. Den Kontrahenten wird's recht sein. Denn beide wollen sich vorher auf kein klares politisches Konzept festlegen lassen, buhlen um die Stimmen sowohl von Wirtschafts- wie Rechtsstaatsliberalen.

damals selbst „Sozialliberale“ den Kohl-Getreuen Kinkel bekniet haben, weiterzumachen.

Diese Möglichkeit gibt's in Mainz nicht mehr Was die Wahl nicht erleichtert. Denn in vielerlei Hinsicht ist Gerhardt Kinkel ähnlich: Konservativ, auf die CDU und Kohl fixiert, ein Beamten-Typ, wenngleich er Karriere nur in und dank der FDP gemacht hat. Inhaltlich soll er sich bisher immer erst dann festgelegt haben, wenn klar war, welche Positionen in Präsidium und Vorstand der FDP sowie ihrer Bundestagsfraktion mehrheitsfähig sind. Also war er in den letzten Jahren „Wirtschaftsliberaler“ ä la Graf Lambsdorff und Hermann Otto Solms, trat noch unlängst für den von Bundesinnenminister Kanther vehement geforderten und von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger konsequent abgelehnten Großen Lausch-

angriff ein. Spontan sagten ihm denn auch die „Nationalliberalen“ um Ex-Generalbundesanwalt von Stahl Unterstützung zu. Was Gerhardt nicht hinderte, sie zum FDP-Austritt aufzufordern, als klar wurde, daß solche Freunde seine Wahl in Mainz gefährden könnten.

So laviert Gerhardt permanent, seit er offiziell Kandidat ist, nimmt seinen Ehrgeiz zurück. Er strebe bis 1998 weder ein Ministeramt noch den Fraktionsvorsitz in Bonn an, versichert er. Auch deren Amtsinhaber stellt er derzeit nicht mehr - in Frage. Eine Entscheidung über den Großen Lauschangriff müsse ja in Mainz noch nicht fallen...

Da ist Möllemann undiplomatischer, wenn auch nicht eindeutiger- Er polemisiert gegen „die Kaste der Amtsinhaber“, insbesondere gegen Kinkel und Solms, fordert für die FDP „Freiheit zur Koalition mit

allen demokratischen Parteien“ Der Grund für diese Taktik ist eindeutig: Auf eine Wahl dank Kungeleien mit den Notabeln der FDP hinter den Kulissen kann er nicht rechnen, obwohl ihn Altbundespräsident Scheel indirekt empfahl.

Also muß Möllemann auf die rebellische „Basis“setzen. Wieviele Delegierte in Mainz dazu zählen, weiß derzeit keiner genau. Denn die Delegierten wurden erst jüngst neu gewählt. Dem Vernehmen nach seien viele frustiert, weil ihre Partei nicht nur aus dem Europaparlament, sondern auch aus elf der 16 Landtage sowie reihenweise aus Kommunalparlamenten flog, im Osten faktisch inexistent geworden ist. Damit gingen Einfluß und Posten verloren. Die Mitgliederzahl hat sich seit 1990 fast halbiert.

Logischerweise müßte „die Basis“ also den Kandidaten bevorzugen, dem am ehesten ei-

ne Reanimation der FDP zuzutrauen ist. Möllemann, seit jüngstem gesundheitspolitischer Sprecher der Bonner FDP-Fraktion, würde wohl regelmäßig für Schlagzeilen sorgen. Doch reicht das aus, um

mehr als 4,9 Prozent der Wähler zu animieren?

An überzeugenden Argumenten, FDP zu wählen, fällt derzeit nur eins ein: Weil Kohl oder dessen Nachfolger dann 1998 in Bonn keine Mehrheit

mehr hätte. Ließen sich davon 5 Prozent der Bürger überreden, ihre Stimme der FDP zu geben, brauchte es sie wirklich nicht mehr Dann könnten sie ja auch gleich CDU oder CSU wählen. Mehr Deutsche halten die FDP für überflüssig als für noch nötig.

A und 0 einer Überlebenstrategie der FDP ist deshalb wohl weniger ihre nächste Galionsfigur Ein liberales Programm, das den Namen verdient, wäre von Nöten. Im Libretto für die drei Tage in der Mainzer Rheingoldhalle ist das aber nicht vorgesehen. Am Samstag soll lediglich nach einer Einführung durch Gerhardt - laut Tagesordnung „stellv Bundesvorsitzender“! über eine Parteistrukturreform diskutiert werden. Und bevor am Sonntagmittag alle auseinanderrennen, referiert Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt über „Ja zu Fortschritt und Technologie“ Ohne Aussprache.

Da können Liberale eigentlich nur hoffen, daß der „Freiburger Kreis“ und Frau Leutheusser-Schnarrenberger ernst mit ihren Ankündigungen machen, in Mainz über Anträge Richtungsentscheidungen herbeiführen zu wollen: Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften, doppelte Staatsbürgerschaft und klares Nein zum Lauschangriff. Dann wüßte man wenigstens, was die FDP in diesen Fragen ?will. Die Richtlinienkompetenz bleibt danach eh beim Kanzler. Wie weit Kohl auf seinen kleinsten Koalitionspartner Rücksicht zu nehmen gewillt ist, könnte auch Aufschluß darüber geben, wie ernst er selbst seine Wette nimmt, daß die FDP auch 1998 wieder in den Bundestag kommt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal