nd-aktuell.de / 08.06.1995 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 8

Pleitewelle erreicht die Ufer der Saale

Kleinbetriebe Halles betroffen / Sachsen-Anhalt mit 50 Baupleiten in diesem Jahr Von HANS-DIETER VATER

Industrie und Handelskammer, Gewerkschaften und Landesregierung Sachsen-Anhalts senden schon SOS. Nachdem 1994 die höchste Anzahl von Konkursanmeldungen ostdeutscher Firmen verzeichnet wurde, droht eine neue Pleitewelle. Nach Prognosen des Vorstandschefs der Hermes Kreditversicherung, Wolf-Ingo Darius, werden noch mehr Unternehmen in Konkurs gehen als 1994. Er rechnet mit 19 000 in der Bundesrepublik, und die meisten davon im Osten.

Zahlreiche kleinere und mittlere Betriebe Halles wie die Venag Kaffeerösterei mit 100 Beschäftigten, die „Teebude“ in der Merseburger Straße (183 Arbeitsplätze), die Jodak (Containerbau) mit 80 Mitarbeitern, das Althoff-Bürocenter (35 Arbeitsplätze) sind die ersten Opfer dieses Jahres. Auch im Handwerk rasseln die Alarmglocken. Waren es 1994 insgesamt 45 Abmeldungen, wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres schon 28 durch die Kammer registriert. Neu und besonders bedenklich ist

die Zunahme der Baupleiten. In jeder Woche dieses Jahres, so Sachsen-Anhalts IG-Bau-Landesyorsitzender Andreas Steppufin, wurden im Land ein bis zwei Bauunternehmen „von Insolvenzen und Gesamtvollstreckungen“ betroffen. Von den bislang über 50 Baupleiten 1995 seien insbesondere von der Treuhand privatisierte Betriebe betroffen.

Allein in Halle hat es in den letzten zwei Wochen drei größere Bauunternehmen erwischt. Jüngstes Beispiel der Halle-West Bau. Nach der Pri-

vatisierung ein Tochterunternehmen der belgischen Firma Besix mit Sitz in Brüssel, bangen nun 300 Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz. Da aber erst vor Tagen die zur Gruppe der Ebel Bauunternehmen zählende hallesche Baufirma Gesellschaftsbau pleite machte und 330 Mitarbeiter noch immer auf ihren Aprillohn warten, der Wohnbau des Unternehmens Baureparaturen schon 1994 vor der Pleite stand und nun der Hochbau desselben Unternehmens in der gleichen Situation ist, schlägt die IG Bau-Steine-Erden Sachsen-Anhalts Alarm. Vor allem die Treuhand und ihre Nachfolgerin, die Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS), treffe eine große Mitschuld. Die Auswahl der Investoren sei nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorgenommen worden. Die IG Bau werde

in jedem Fall von Baupleiten die BVS für die Sozialpläne zur Verantwortung ziehen.

Während die Gründe für die zunehmenden Gesamtvollstreckungen vor allem in schwerwiegenden Managementfehlern, mangelnden Investitionen, aber auch Fehlern bei Umstrukturierungen und Privatisierungsprozessen gesucht werden, verweisen Beobachter auch in eine andere Richtung. Die durch die Treuhand den Investoren auferlegte Dreijahres-Beschäftigungsgarantie läuft in diesem Jahr ab und läßt die Schließung der Betriebe zu. Die zumeist wertvollen Immobilien aber bleiben in der Hand der ausländischen oder westdeutschen Besitzer, und die offenstehenden Aufträge werden durch ein Mutterunternehmen und ihre eingeflogenen Saison- und Billigarbeitskräften übernommen.