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Der Infoladen liefert alles für die Revolution

Auch die 39. Polizei-Razzia wird unter „Politspesen“ verbucht

  • Lesedauer: 3 Min.

Foto: Boris Bocheinski/Zone 0

FPÖ-Führer Jörg Haider warnt, er sei einer der „geistigen Väter“ des Terrorismus. Die österreichische Regierung assistiert mit einem Einreiseverbot zum Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Auch hierzulande ist er der politischen Polizei bekannt: der Betreiber des Kopier- und linken Gemischtwarenladens in der Manteuffelstraße 96 in Berlin-Kreuzberg, Hans-Georg Lindenau.

Allerdings stöbert nicht nur der Staatsschutz in den linken Blättern. Am Wochenende kann sich der Ladenbesitzer vor Kundschaft kaum retten. Denn auch außerhalb Berlins hat sich in der linken Szene herumgesprochen, daß hier auf 50 Quadratmetern in Massen angeboten wird, was in der Provinz schwer zu bekommen ist. Heißbegehrt sind Shirts und und Kapuzenpullis mit Aufdrucken wie „Deutschland, halt's Maul“ und dem gerupften Bundesadler. Oder mit dem Konterfei von Pippi Langstrumpf samt der Aufforderung „Bildet Banden“ Für ma-

ximal 45 DM - das sei wichtig, weil die Käuferinnen überwiegend Schülerinnen oder sogenannte Auszubildende sind, betont H.G., wie der Ladeninhaber kurz genannt wird.

Viele davon sind aktive Antifas aus Kleinstädten und Dörfern, die sich über Zeitschriften und Bücher beispielsweise einen Einblick in die bundesweite Vernetzung der Neonazis verschaffen wollen. Außerdem wolle sie „auch mal lesen, was in anderen Gegenden oder im Ausland so gegen die Faschos läuft“, erklärt Miriam aus der Nähe von Erfurt.

Für den mit 36 Jahren schon zur Altlinken zählenden ehemaligen Hausbesetzer ist der Laden mehr als eine politische Spielwiese. Stetig steigende Gewerbemieten (1200 DM warm) und Lebenshaltungskosten haben ihn gezwungen, seine Existenzabsicherung marktwirtschaftlich auszurichten und „knallhart zu kalkulieren“ Buchhaltung und Verlagswesen mußte er sich in Selbstschulung beibringen, Vertrieb und Verlag sind als

zusätzliches Standbein in Planung. Dennoch mag ihn die taz am liebsten als „jodelnden Revolutionskrämer“, der Berliner Tagesspiegel stilisiert ihn zum „Kreuzberger Überlebenskünstler“. Linker Buchhändler sei er. „Und alles andere ist Quatsch“, erklärt H.G.

Auf den meisten linken Polit-Veranstaltungen ist er mit seinen Klamotten, Zeitschriften, Aufklebern und aktuellen Flugblättern vertreten. So taucht der bis zur Decke vollgepfropfte Transporter auch schon mal in Leipzig, Halle oder Dortmund auf. Wegen der knappen Gewinnspannen mache erst die Masse das Geld, erklärt H.G. die häufigen „Provinzbesuche“ und „Auslandsreisen“.

Was ihn wirklich nervt, ist nicht der 14-Stunden-Tag oder verstopfte Autobahnen. Die permanenten Razzien des Staatsschutzes - neulich war es die 38. - bringen ihn zur Weißglut. Periodika wie die im Untergrund hergestellte „Radikal“, das Autonomenblatt „Interim“ oder die RAF- Dokumentation oder Über 90 Titel waren immer wieder Anlaß von Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und 129a-Verfahren (Werbung für eine terroristische Vereinigung).

Auf 100 000 DM schätzt H.G. den Schaden aus den letzten Jahren, hinzu kommt die permanente Bedrohung durch hohe Geldstrafen und/oder Knast,. Doch er bleibt standhaft und tröstet sich mit der politischen Einsicht, daß der, der „fundamentale Kritik an den Verhältnissen äußert und .aufrührerische Inhalte 1 verbreitet“ selbstverständlich kalkulieren muß, „daß ihm der Raum und die Chance dies zu tun gestört, zerstört und versagt wird“. KLAUS MÜLLER

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