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  • Kultur
  • Ein zweiter Comic Salon über Pfingsten in Hamburg

Echt geil oder tierisch blöd?

  • HARALD KRETZSCHMAR
  • Lesedauer: 3 Min.

Zeichnung: Anke Feuchtenberger

worts. Und einige private Sponsoren erinnern sich nostalgisch ihrer Comicleidenschaft: Nostalgie wird also in Hamburg gefüttert mit den Sonderschauen von Hai Fosters „Prinz Eisenherz“ und von Jean Girauds (genannt Moebius) Gesamtwerk in Ausstellung und Videoshow Und freundlicherweise hat der befreundete STERN einen Stammzeichner, den Gerhard Haderer aus Linz. Und obwohl der mit Comic nullkommanix am Hut hat, garniert der sehr schön das Ganze künstlerisch. Mit Cartoon.

Knalleffekt muß die Exotik liefern: Hamburg hat als Tor zur Welt alle Welt zum Nachbarn. Also wird Nachbar Japan mit seiner ganzen breiten Comic-Garde eingeladen. Angefangen von Außenministerium und Generalkonsulat mischen acht Förderer aus Fernost kräftig mit. Die deutschen Comicverleger-Giganten Ehapa und Carlsen lassen sich's gern gefallen - sie forcieren MAN-GA, wie der japanische Comic heißt, gerade für den deutschen Markt.

Kürzen wir's ab. Machen wir einen Sprung wie Tarzan mitten ins Geschehen. Die Eröffnung ist gerade so lautstark wie unverständlich übers Mi-

krofon gegangen, da locken als erstes die vier großen Kojen voll von MANGA zum Rundgang. Wohlvertraut mit ihrer köstlichen Bildgeschichtentradition und ihrem vorzüglichen Modern graphic design, folge ich erblassend den Spuren der Crew aus dem Reich der Sonne. Sie verweilt smalltalkend mit den Hamburger Offiziellen vor... ja, wovor? Vor Dutzendware. Vor Wühltischangebot. Vor Mischmasch aus gängigen Versatzstücken. Vor ollen Kamellen. Vor Bonbonfarbenkitsch.

Woher dieser Mangel an originär japanischen Kulturwerten? Werte, vorgezeichnet vom Urvater des MANGA, Katsushika Hokusai, bereits 1810. Fortgesetzt von unzähligen Meistern ironischer, wissender, ausmalender, pointierter Weltbetrachtung bis gestern. Ich frage mich: Ist das big management, das den japanischen plus den amerikanischen plus den europäischen Markt fest in der Hand hat, nunmehr von allen guten kreativen Geistern verlassen? Ich frage nicht nur mich, ich frage

eine der Hamburger Veranstalterinnen: Sie flüchtet in die Bewunderung des Quantitativen. Ich solle doch bedenken -Hunderttausende Comics jede Woche, 30 Prozent aller Druckerzeugnisse seien Comics, jeder Japaner lebe täglich damit (dafür?), und Comic-Papierkörbe am Metroausgang befreien ihn wieder davon. Bravo! Bravissimo! Und die übrige Welt?

Meine hochfliegenden Erwartungen kommen nicht von ungefähr. Ich kenne und schätze zeitgenössische Comic-Leistungen von wirklichen Künstlern wie Mattotti und Pratt, Moebius und Schultheiß, Crumb und Prado. Und selbst die deutschen Blödelcomicmacher König und Brösel haben ihre unübertreffliche Originalität. Die sind schon wieder alle weg vom Fenster, und hinter den trüben Scheiben von 1995 glänzt kein neuer Stern. Die Branche läßt weder die Sau noch einen Löwen raus. Nein, dafür ist der Wurm drin. Ich wandere von Koje zu Koje in dieser Riesenhalle, deren Charme sich zu dem der romantisch verwinkelten Erlanger Stadthalle sehr in Grenzen hält, und suche

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