nd-aktuell.de / 23.06.1995 / Kultur / Seite 10

Er war wie Anton: ein ganzer Kerl

PETER HOFF

Der „Martin Luther in dem gleichnamigen Fernsehfilm war eine der größten Rollen Ulrich Theins. Szene mit Barbara Schnitzler Foto: Archiv

Anton, der Zauberer, der Mann mit den goldenen Händen und der unbezwingbaren Gier, zu arbeiten, weil er begriffen hat, daß die Arbeit „den Menschen macht“, war wohl seine persönlichste Rolle; ein Sinnenmensch durch und durch, ein Kraftkerl und Genießer. Als Günter Reisch vor wenigen Wochen diese beste Komödie der DEFA noch einmal vorstellte - zusammen mit Fassbinders „Ehe der Maria Braun“ - ließ Ulrich Thein sich entschuldigen. Es gehe ihm gesundheitlich nicht gut. Nun erfahren wir von seinem Tod.

Er war wie der Anton Grubske in Reischs. Film ein „ganzer Kerl“ voll produktiver Unrast, er war Musiker und Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur. 1930 in Braunschweig geboren, ging er 1951 nach Ostberlin und spielte am Deutschen Theater unter Wolfgang Langhoff die jugendlichen Helden. Sein Regiedebüt hatte er in der Talentschmiede des Deutschen Theaters, am Theater der Bergarbeiter in Senftenberg, das damals durch einen Patenschaftsvertrag mit dem berühmten hauptstädtischen Theater verbunden war. Die DEFA holte ihn erstmals 1953 für eine Rolle in dem Film „Geheimakten Solvay“. Er spielte die zwielichtigen Charaktere in den Berlin-Filmen von Gerhard Klein, in „Alarm im Zirkus“ und in „Eine Berliner Romanze“ In „Das Lied der Matrosen“ war er der revolutionäre Held. Es sind aber nie einschichtige Charaktere gewesen, die Thein darstellte.

Das bewies er besonders eindringlich auch in den achtziger Jahren im Fernsehen mit der diffizilen Gestaltung zweier historischer Persönlichkeiten: Theins Luther, eine seiner größten Rollen, war sowohl mutig als auch ängstlich, ein faszinierender Rhetoriker, dem zugleich vor den Wirkungen seiner Agitationen bange ist, und der von ihm verkörperte Johann Sebastian Bach mußte sein Genie verzweifelt im täglichen Existenzkampf verteidigen.

Er war ein kantiger Schauspieler. Neuland aber hat er vor allem als Fernsehautor und -regisseur erobert. Thein schrieb und inszenierte meist aus persönlicher Betroffenheit. Als er Anfang der sechziger Jahre mit der tschechischen Schauspielerin Jana Brejchova verheiratet war, reflektierte er die Beziehungen der Tschechen und Deutschen zwischen Nazireich und sozialistischer Integration in seinem ersten Fernsehfilm „Der andere neben dir“ In der Komödie „Titel hab ich noch nicht“ bringt ein junger Autor einen DFF-Dramaturgen zur Verzweiflung, indem er seine Geschichte gegen die Klischeevorstellungen des gestreßten Fernsehmannes verteidigt, „columbus 64“ konfrontierte einen Journalisten mit den Problemen der sozialistischen Produktionsorganisation im sächsischen Braunkohlenrevier.

Thein wollte dicht an die Realität heran. In seinen Filmen standen Schauspieler -

Erwin Geschonneck, Armin Müller-Stahl, Fred Düren, Klaus Piontek - gemeinsam mit Laien vor der Kamera. Eine der Hauptgestalten in „columbus 64“ war beispielsweise der „Held der Arbeit“ Sepp Wenig. Ulrich Thein wollte Authentizität: Wer etwas vor der Kamera tat, sollte dies auch wirklich können, der Boxer boxen, der Pianist Klavier spielen. Als Bach spielte er die Klavierwerke selbst.

Ulrich Thein war aber auch ein Meister der poetischen Miniatur. „Mitten im kalten Winter“, seine Adaption der kleinen Erzählung von Hermann Kant, ist einer der schönsten ostdeutschen Fernsehfilme.

In der Wendezeit schrieb und inszenierte Ulrich Thein die Serie „Agentur Herz“, in der er die Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten in die Gegenwart transponierte: als unbrauchbar erklärte und arbeitslos gewordene Schauspieler verdingen sich als Helfer in Notsituationen.

Als Schauspieler gab Ulrich Thein noch den zynischen Stasi-Oberst im „Tatort/Polizeiruf 110“-Film „Unter Brüdern“ Aber er wendete und verbog sich nicht. Als er im Fernsehen zum öffentlichen Wundenlekken aufgefordert wurde, verweigerte er sich. Er blieb geradlinig, wie Anton Grubske, mit dem sich Ulrich Thein gern identifizierte und dem er in seinem Film „Dach überm Kopf ein Denkmal setzte; die Heldin des Films wohnte in der Anton-Grubske-Straße!