nd-aktuell.de / 20.09.1995 / Kultur / Seite 9

Groteske Fröhlichkeit

Schostakowitschs 5. Sinfonie gab diesem Konzert Gewicht und Charakter. Die musikantische und klangliche Brillanz, die emotionale Spannung des Spiels der Berliner Philharmoniker unter Leitung von Maris Jansons war von faszinierender Schönheit und intensiver Ausstrahlung. Der aus Riga stammende Dirigent, in russisch-sowjetischer Musiziertradition aufgewachsen und jahrelang neben Jewgeni Mrawinski in Leningrad wirkend, hat die sinfonische Sprache von Schostakowitsch gewissermaßen von der Pike auf „ger lernt“ Bis in die feinste Wendung der melodischen und harmonischen Gestik durchdacht, das Russische gleichsam offenlegend, war seine Interpretation des gewaltigen vierteiligen Zyklus angelegt.

Die „Fünfte“, komponiert 1937, eine Reaktion auf die vernichtende Prawda-Kritik zu seiner Oper „Lady Macbeth“, ist ohne Frage so etwas wie

ein Schlüsselwerk kompositorischen Selbstverständnisses. Das von ihm benannte programmatische Thema vom „Werden der Persönlichkeit“ deutet auf subjektive Konfliktkonstellation. Es erscheint heute im veränderten Sinn: Die Tragik, der Kampf des einzelnen in bedrohlich verhängnisvoller Realität wird in allen Facetten der klanglichen und musikalischen Erfindung emotional ausgeschöpft. Diese Sinfonie, in der Vergangenheit häufig als Ringen und Sieg des menschlichen Geistes „durch Nacht zum Licht“ aufgefaßt, versteht man heute viel eher als Tragödie des Verzweifelten, sich Wehrenden und Behauptenden.

Die Interpretation von Maris Jansons und den Philharmonikern wußte das in der monumentalen sinfonischen Dimension nahezubringen. Dem auftrumpfenden Signalmotiv und den martialisch ausbrechenden Blechkaskaden im Ein-

gangssatz, der grotesk verzerrten Ländler-Fröhlichkeit des Scherzos und dem weniger triumphiernd als brutal daherstürmenden Final-Allegro ist optimistische Freude fern. Ein schauriges, mechanisch abrollendes Gelächter scheint die Oberhand zu gewinnen. Es wird scharf kontrastiert vom innigen Klagegesang des Largos.

Sanfter, eleganter war der Beginn: Tschaikowskis Violinkonzert mit seiner halsbrecherisch schwierigen Virtuosität, perfekt dargeboten von Viktoria Mullova. Eine junge Künstlerin der russischen Geigerschule war zu bewundern. Rapide Technik, strahlender Ton, gestalterische Eigenwilligkeit: Mullova faßte diese Musik schlank, trotz artistischer Bravour zurückhaltend mit den schönsten Momenten im Kantabile der lyrisch-intimen „Canzonetta“

L/ESEL MARKOWSKI