nd-aktuell.de / 22.09.1995 / Kultur / Seite 12

Der Stein der Narren

BERND HEIMBERGEh

Menschen. Die griff er nicht mit Groll an. Er stolperte ihnen schwankenden Gangs und manchmal mit gelallten Sätzen in den Weg. Dann standen die Sicheren hilflos da. Die Satire der Ringelnatzschen Art zerfleddert, zerschneidet, zerreißt nicht und ist auch kein Schmus auf die Backe der Bedürftigen. Sympathie genoß der Schriftsteller durch die Bank weg, weil er menschliche Schwächen nicht madig machte. Der Unterhalter entlastete sich, seine Zuhörer, seine Leser, indem er über Schwächen lachte. Ringelnatz war nicht auf der Suche

Joachim Ringelnatz: Werke. Hrsg. von Walter Pape. Diogenes Verlag Zürich. Bd. 1-7 3008 S., Halbleinen, zusammen 248 DM.

nach dem Stein des Weisen. Ihm genügte der „Stein des Narren“, wie er sagte.

Wer in der siebenbändigen Gesamtausgabe das Geläufige und Geliebte sucht, dem reichen wahrscheinlich die ersten beiden Bände. In ihnen sind die Gedichte gesammelt. Das ist der Ringelnatz, der freilich nicht der ganze Ringelnatz ist.

Der mitunter ernste, melancholische Dichter wurde vom Gelächter übertönt, für das er als Komödien-Verfasser sorgte, ohne den Beifall zu bekommen, den er als Kabarettist kassierte.

Wer dem Erfinder des Ringelnatz und Kuttel Daddeldu auf die Schliche kommen und auch entdecken möchte, weshalb dem Herrn Bötticher die Haut des Bötticher Hans zu eng wurde, für den ist die Gesamtwerk-Ausgabe ein ergiebiger Fundus. Mit den abschließenden autobiographischen, bio-

graphischen Bänden „Mein Leben bis zum Kriege“ und „Als Mariner im Krieg“ tritt der wenig bekannte Schriftsteller in Erscheinung, der die Erscheinung des bekannten Ringelnatz begreifbarer macht. Der Humorist, Satiriker, Kabarettist hielt die Kunst des Unterhaltens hoch, weil er so am besten der profanen, perfiden Politik Paroli bot, ohne politisch zu sein. Wurden seine Texte trotzdem als politische gehört und gelesen, scherte es ihn nicht. Über Joachim Ringelnatz schwebte der ungetrübte Heiligenschein eines Poeten. Der griff gern zu Zeichenstift und Pinsel und vermehrte so sein künstlerisches Werk. Die Zeichnungen freilich sind nicht Gegenstand der Gesamtwerk-Ausgabe, die mit dem Wort des Joachim Ringelnatz wirken will.