nd-aktuell.de / 07.10.1995 / Politik / Seite 1

Von HERBERT LEUNINGER

Atianhazo, Sonderberichterstatter der UNO zu gegenwärtigen Formen des Rassismus, rassischer Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit, wollte sich auch über den Stand der Dinge in Deutschland informieren. Den Juristen aus Benin interessierte nicht nur die Sicht der Regierung oder der Parteien. Er wollte auch wissen, was Organisationen aus dem Bereich der Ausländer- und Asylarbeit zu diesem Thema zu sagen hatten.

Als Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL ging es uns nicht darum, die Fremdenfeindlichkeit auf der Straße oder den alltäglichen Rassismus in Amtsstuben zu benennen. Wir wollten in unserer Stellungnahme die in den Gesetzen festgeschriebene, institutionalisierte Feindschaft gegenüber Flüchtlingen aufzeigen. Denn inzwischen hat das Raffinement des Rechts weitgehend die Grobheit der Straße ersetzt.

Die vor zwei Jahren auch mit Zustimmung der SPD vorgenommenen Gesetzesänderungen waren einschneidend und im Sinne der Regierung wirksam. Wir haben eine abgeschottete Republik, die von lauter angeblich sicheren Drittstaaten umgeben ist. Dorthin dürfen jetzt Flüchtlinge abgeschoben werden. Es gibt Abkommen mit den Anrainern, die sich verpflichten, Flüchtlinge, die über ihr Territorium nach Deutschland gelangt sind, zurückzunehmen. Verträge nach dem gleichen Muster hat Polen mit all seinen Nachbarländern abgeschlossen. Demgemäß schiebt Polen nach Weißrußland und in die Ukraine ab. Und was werden diese Länder mit den Flüchtlingen machen? Wir haben eine verstärkte Grenzabwehr an Oder und Neiße mit den Nachtsichtgeräten der NVA, mit Hubschraubern in der Luft und schnüffelnden Schäferhunden im Wald.

Die Bundesrepublik ist darüber hinaus Vertragsstaat von Schengen. Schengen-Land gilt als Laboratorium, in dem für die ganze (Westeuropäische Union getestet wird, wie Grenzenlosigkeit nach innen und Abschottung nach außen funktionieren. Es gibt eine Liste von 136 Staaten, für deren Bürgerinnen und Bürger Visapflicht besteht. Dabei handelt es sich vornehmlich um krisengeschüttelte Staaten, aus denen möglicherweise Flüchtlinge in eines der Schengen-Länder kommen könnten.

Fluglinien, die Flüchtlinge ohne ausreichende oder mit gefälschten Papieren in die Kernregion der EU befördern, werden mit hohen Strafen belegt. Einen zwangsweisen Rücktransport ins Herkunftsland müssen die Gesellschaften auf ihre Kosten vornehmen. Schließlich gibt es das Schengen-Informationssystem, einen Computerverbund (SIS), in dem u. a. die digitalisierten Fingerabdrücke von Asvlbewerbern

tur diese Poli-.tik wird gern das Bild von der Festung Europa gebraucht. Vielleicht gibt es aber ein treffenderes Bild - das des neuen Limes: Eine Befestigung, die der Grenzwehr aus der Zeit des römischen Imperiums nachempfunden ist.

Am Schlußtag der Mission des UN-Berichterstatters in Deutschland blieben mir nur ein paar Minuten Zeit, um das Material von PRO ASYL über die Auswirkungen des neuen Asylrechts mit einer kurzen Erläuterung zu übergeben. Darunter waren auch Unterlagen über das Asylbewerberleistungsgesetz. Mit ihm werden Flüchtlinge gezielt unter die Armutsschwelle gedrückt. Dieses Gesetz hat eine zweite, niedere Klasse von Menschen geschaffen.

Als letztes überreichte ich dem Juristen und Richter aus Afrika eine farbige Computergrafik. Sie ist aus einem Buch von Jean-Christophe Rufin übertragen, das den Titel trägt: „Das Reich und die neuen Barbaren“. Auf einer Weltkarte ist der neue Limes eingetragen. Er zieht sich von der Grenze zwischen Amerika und Mexiko über Nordafrika, den Vorderen Orient bis nach Asien hin. Wie der Autor behauptet, trennt er die bevölkerungsärmere von der bevölkerungsreicheren Hemisphäre. Diese Trennung ist aber nach ihm nicht nur eine statistische, sondern vielmehr eine ideologische. Sie zielt darauf, die Welt des Nordens vor „Schaden“ durch die Welt des Südens zu bewahren. Die Zivilisation soll vor der Barbarei abgeschottet werden.

Diese Sicht, so meint der Autor, habe tief in die Geschichte reichende Wurzeln. Das ihr zugrunde liegende Modell orientiere sich an der Haltung des römischen Reiches. Damals habe man sich vorgestellt, ein Friedensreich mit einer hohen Kultur und Religion, vor allem auch mit einem entwikkelten Rechtssystem gegen das Chaos der Barbarei verteidigen zu müssen. Dazu sei der Limes errichtet worden. Er habe auf allerdings künstliche Weise zwei Welten auseinanderhalten wollen. Nur habe die dadurch heraufbeschworene und verschärfte Ungleichheit eine heftig wechselseitige Anziehung beider Seiten bewirkt. Am Ende stand die gewaltsame Konfrontation, erwies sich, so müßte man fortfahren, wie nutzlos diese Abschottung war.

Ob der aufmerksame UN-Sonderberichterstatter etwas mit der Grafik anzufangen wußte, ließ sich nicht erkennen. Für uns jedenfalls lohnt die Überlegung, wohin eine Ideologie des Limes, so sie sich in den Köpfen und Gesetzen festgesetzt hat, in der Zukunft führen

knnntfi

gespeichert sind. Alles in allem: eine perfektionierte Abschot-

tung.