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Ossis werden wieder kritischer

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Die Ursachen der Arbeitslosigkeit werden von den Betroffenen in wachsendem Maße hinterfragt und führen zu einer zunehmend kritischen Sicht der Ostdeutschen auf die Gestaltung des Einigungsprozesses. So ist der Anteil derjenigen - alle Altersgruppen einbezogen -, die in der verfehlten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der DDR die Hauptursache der gegenwärtigen Erwerbslosigkeit sehen, von 63 Prozent im Jahre 1991 auf 26 Prozent im Jahre 1995 drastisch abgesunken.

Besonders betroffen sind Frauen. Bisher ist ein freiwilliger Rückzug der Frauen vom Arbeitsmarkt nicht zu erkennen. Dazu dürfte nicht nur die aus DDR-Zeiten gewohnte Berufstätigkeit beider Partner, sondern auch der im Vergleich zu den alten Bundesländern

höhere Anteil Alleinerziehender und der wachsende finanzielle Bedarf angesichts steigender Lebenserhaltungskosten beitragen. Wenn auch bei Frauen der Wunsch nach Teilzeitarbeit (38 Prozent) stärker ausgeprägt ist als bei Männern (6 Prozent), so wollen insgesamt 96 Prozent der Frauen und 91 Prozent der Männer einer geregelten Arbeit nachgehen. Insgesamt ist festzustellen,

- daß Erwerbsarbeit im Osten wie im Westen als ein zentraler Lebenswert verstanden wird, daß ein „Abschied von der Erwerbsarbeit“ mehrheitlich nicht gewünscht und gewollt wird;

- daß Arbeitslosigkeit im Osten wie im Westen die allgemeine Lebenszufriedenheit beeinflußt, ohne jedoch ausschließliches Bewertungskriterium für Zufriedenheit zu sein.

Die massive Entwertung der .Erwerbsarbeit von Frauen nach der Wende in den neuen Bundesländern ist Zeugnis von geschlechtsspezifisch diskriminierenden Arbeitsmarktstrukturen. Die dortige „Wertigkeit“ der beruflichen Tätigkeit von Frauen stellt sich nach fünf Jahren deutscher Einheit zusammengefaßt so dar:

-»“Etäblierung einer gestfhlechtsspezifischen Einstellungspraxis in den Unternehmen, die Frauen den Zugang in männerdominierte, gemischtgeschlechtliche und ehemals frauendominierte Wirtschaftsbereiche erschwert bzw verweigert. Konzentration von Frauen in historisch gewachsenen „weiblichen“ Tätigkeitsfeldern, die für Männer wenig attraktiv erscheinen (Beispiel Sozialarbeit). Geringere gesellschaftliche Wertschätzung dieser für die Regulation des Gemeinwesens notwendigen Arbeit durch Unterbezahlung im Vergleich zu „männlichen“ Tätigkeitsbereichen mit gleichem Qualifikationsniveau.

- Die Durchsetzung einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung innerhalb von Berufsfeldern, die Frauen trotz gleicher Qualifikation weniger qualifizierte Arbeitsplätze zuweist - was nicht selten mit einer schlechteren Eingruppierung verbunden ist.

- Dominanz von Männern auf allen Leitungsebenen und Verdrängung von Frauen aus ihren Leitungsfunktionen auf der mittleren Ebene in den ehemals frauendominierten Bereichen.

-Eine Arbeitslosenquote von Frauen, die doppelt so hoch wie die der Männer ist, ebenso die Quote der langzeitarbeitslosen Frauen.

-Höhere Erwartungen an ar-, beitslose Frauen, sich beruflich neu zu orientieren und zu bilden, dabei auch Dequalifizierung in Kauf zu nehmen.

- Ein höherer Anteil von Frauen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die durch schlechtere Eingruppierung und neu geforderte Qualifikationsnachweise Diskriminierung befestigen, wobei der erfolgreiche Sprung vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt zugleich ungewiß ist.

Besondere Benachteiligung von jungen Frauen ohne Kinder und mit Kleinkindern an der ersten Schwelle ins Berufsleben (berufliche Bildungschancen) und an der zweiten Schwelle (Übernahme nach Berufsausbildung), wodurch ihre langfristige Aus-

grenzung vom Erwerbsleben bzw eine diskontinuierliche Erwerbsbiographie vorstrukturiert wird. Spezifische Diskriminierung von älteren Frauen, die nach dem Verlust eines Arbeitsplatzes kaum noch Wiedereingliederungschancen haben.

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